Themenvielfalt und Leistungsdichte

Das Haus der Berliner Festspiele lädt zum 5. Tanztreffen der Jugend

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Anfang war ein Turm. Im Vorzeitnebel windet er sich aus kleinen Kartons kegelförmig bis zur Decke der Hinterbühne im Haus der Berliner Festspiele. Man sieht von umstehenden Tribünen auf das mittige Bauwerk. Ein Knabe sitzt davor und lauscht der eigenen Stimme, die vom Band aus dem Bericht des biblischen Jeremia zitiert: vom anmaßend himmelhohen Turmbau zu Babel, der göttlich verordneten Sprachverwirrung, später von der Zerstörung Jerusalems. Plötzlich bricht das Gebäude zusammen, menschliche Glieder ragen aus den Trümmern. Verzweiflung und Trauer greifen um sich, führen zu solidarischer Umarmung. Als schnell die Kartons beiseitegeschoben werden, starten die Tonbandtexte eines Hörspiels von Robert Wilson: »Tower of Babel«. Frei nach diesem entstand das Tanztheater »Babel«. So leitete die Perform[d]ance Jugendcompany Stralsund das 5. Tanztreffen der Jugend ein.

Einheitlich in Beige sind die Jugendlichen gewandet, als Pulk, der sich gegen die Geschehnisse stemmt, wie die Hörspieltexte sie collagiert vorgeben. Und damit beginnen auch die Probleme. Was Wilson nach seiner Intuition fügt, Fragmente aus Stücken von Aischylos über Shakespeare bis hin zu Heiner Müller, und was Violinist Daniel Hope begleitet, haben brillante Profis eingesprochen. Edith Clever, Inge Keller, Jürgen Holtz sind darunter, Kolleginnen aus England und Frankreich. In inner- und außereuropäischen Sprachen reden sie, etwa Klytemnästras vehemente Verteidigung des Gattenmords. Für Babylons legendäre Sprachverwirrung mag das eine Metapher sein, den Tanz aber erdrückt so viel verbale Perfektion. Sie trägt und erklärt facettenhaft das einstündige Stück: Ohne das Hörspiel hätte es der Tanz, wie ihn Stephan Hahn und Dajana Voß angelegt haben, schwer, die Geschichte zu erzählen. Es gibt aber sehenswerte Bilder. Wie die Karton-Steine diagonal zur Mauer werden, über die der Knabe zu einem Neuanfang schreitet; wie der einzige Mann der Gruppe ihn vorm Mutterseelenalleinsein erlöst; wie es zur Prozession um die Prachtstraße kommt, ehe auch sie zerstört wird. Himmelwärts recken sich da die Arme zu Klytemnästras Monolog. Überraschend das Ende: Am Anfang waren weder Turm noch das Wort, weder Buddha noch Jesus, sagt die Stimme. Sondern - ein Zwitschern.

Ein poetischer, hoffnungsvoller Schluss einer ambitionierten Produktion, die versucht, den Text nicht tänzerisch zu doppeln und nicht durchgängig überzeugende Lösungen, sinnfällige Kommentare und dynamische Steigerungen bietet. Der Company uneingeschränktes Lob für ihren Einsatz und die Beherrschung zeitgenössischer Techniken. Man mag sie gern wiedersehen, wie auch die weiteren fünf von der Jury geladenen Gruppen. Alle haben sie sich Themen ausgesucht, die dem eigenen Erfahrungshorizont entsprechen.

Der tanzmainz club am Staatstheater Mainz fragt in »Overload«, wie ein strikt vorgegebener Takt Stress erzeugt, auf den der Körper reagieren muss, mitunter bis zur völligen Erschöpfung. Welche Macht Blicke haben, von anderen, auf sie und auch auf sich selbst, das untersucht das You Dance Ensemble aus München in »Blicke!«. In »Trans Lucent« begeben sich die 18 Mitglieder vom Jugendtanz Theater Heidelberg zum Klang japanischer Trommeln auf die spannende Suche nach ihrer Identität und den Spuren der Vergangenheit in der eigenen Persönlichkeit.

Wie die meisten Gruppen, manche sind angesiedelt an Theatern, besteht auch RANDomAPPLAUSe aus Bremen erst seit kurzer Zeit. Anne, Hale, Béla & Maria sind die vier Tänzer, und so heißt auch ihr Stück, das vier Körper in die Zustände Nähe und Ferne stellt und so Gefühle sichtbar machen möchte. Um Momente des Alltags, um Schmerz, den Umgang mit ihm und allgemein das Leben mit seinem Chaos geht es dem IMAL Ensemble 2018 München in »El sol y la vida«. Ausgangspunkt: das gleichnamige Gemälde von Frida Kahlo, die selbst fast alles durchgemacht hat, was ein Leben an Extremen bieten kann. Die Kraft der Sonne lässt den Tag immer neu ertragen, ist die optimistische Botschaft. - Wie in Workshops von Contact Improvisation über GAGA bis zu Voguing und Popping die Teilnehmer eine Woche lang einander näherkommen, macht über Gespräche zu den gegenseitig besuchten Vorstellungen hinaus das Tanztreffen der Jugend für alle zu einem nachwirkenden Erlebnis in künstlerischer wie menschlicher Hinsicht.

Bis 28.9., Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, Telefon 254 890, www.berlinerfestspiele.de

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