Deutschland uneinig Wissenschaftsland

Umfrage zeigt Ost-West-Unterschiede beim Interesse für Forschung: Im Osten mehr Klimaskeptiker, im Westen mehr Impfgegner.

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie stehen die Deutschen zur Wissenschaft? Seit vier Jahren führt »Wissenschaft im Dialog«, die Kommunikationsinitiative der deutschen Wissenschaftsorganisationen, dazu regelmäßig eine repräsentative Befragung von 2000 Personen durch. Ergebnis ist das sogenannte Wissenschaftsbarometer. Gefragt wird unter anderem nach dem Vertrauen in die Arbeit der Forscher, die Nutzung von Informationsquellen über Wissenschaft und auch die Meinung zu gesellschaftlich umstrittenen Themen wie etwa der Klimaforschung.

Jetzt liegt die neueste Ausgabe des Wissenschaftsbarometers vor und sie signalisiert, dass die Deutschen im Großen und Ganzen zufrieden sind mit der Wissenschaft in ihrem Land: 52 Prozent der Bürger treten ihr mit größerem Interesse gegenüber, das ist sogar mehr als bei Politik und Sport. Und 54 Prozent vertrauen den Befunden und der Arbeitsweise der Forscher, ein Anstieg von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Was bei den Auftraggebern der Studie für Irritation sorgte, war allerdings die Aussage, dass lediglich 40 Prozent der Befragten meinen, die Wissenschaftler würden »tatsächlich zum Wohl der Gesellschaft forschen«, während sich 46 Prozent bei dieser Frage unentschlossen zeigten.

Die detaillierte Aufarbeitung der 21 Fragen durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid auf 428 Seiten ermöglicht aber auch spezielle Einblicke. Besonders interessant ist die Aufschlüsselung der Antworten nach West- und Ostdeutschland sowie nach Parteipräfenzen. So zeigt sich, dass sich die Bürger der ostdeutschen Bundesländer mit 55 Prozent mehr für Wissenschaftsthemen interessieren als die Westdeutschen mit 51 Prozent; Wissenschaft liegt im Osten sogar um sieben Prozentpunkte vor dem zweitinteressantesten Thema, der Politik. Im Westen rangiert die Wissenschaft dagegen nur um knappe zwei Punkte vor der Politik.

Bei den Parteien geben die Anhänger von SPD und Grünen das höchste Wissenschaftsinteresse zu Protokoll (66 bzw. 65 Prozent). Erstaunlich ist, dass hier die Sympathisanten der CDU/CSU mit 52 Prozent das geringste Interesse angeben, noch unterhalb der AfD mit 55 Prozent. Von einer Partei, die seit Jahren das Bundesforschungsministerium anführt, wäre mehr zu erwarten gewesen.

Warum interessieren sich die Ostdeutschen mehr für die Wissenschaft als die Westdeutschen? »Weil ich Antworten zu konkreten Fragen suche, die mich beschäftigen«, antworten 72 Prozent der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern (immer auch einschließlich des früheren Ost-Berlin). Im Westen haben nur 62 Prozent diese Meinung. Nur an einer Stelle hat der Westen ein höheres Wissenschaftsinteresse als der Osten: wenn es um die Nutzung für berufliche Zwecke geht (50 zu 48 Prozent). Der Utilitarismus ist in der Alt-Republik offenbar ausgeprägter: Wissenschaft ist für meine persönliche Karriere gut, so der Gedanke. Bei den Parteien ist diese Sichtweise bei den FDP-Anhängern am verbreitetsten (69 Prozent); am anderen Ende der Skala steht mit 35 Prozent die AfD.

Beim Vertrauen in die Wissenschaft geht der Osten leicht in Führung, mit 57 Prozent vor 53 im Westen. Interessant wird es bei der parteipolitischen Aufschlüsselung. Hier haben die Grünen-Anhänger das größte Wissenschaftsvertrauen mit 70 Prozent vor der SPD mit 62 Prozent, während die AfD die geringsten Vertrauenswerte einfährt: 51 Prozent - genauso viel wie die Anhänger von CDU/CSU. Eine erstaunliche Parallelität. Bei den Gründen für das Vertrauen stufen die Ostdeutschen die Expertenrolle der Forscher etwas höher ein (69 Prozent) als die Westdeutschen (63). Bei der Frage nach dem Gegenteil - Gründe für Misstrauen gegenüber der Wissenschaft - äußern sich die Westdeutschen kritischer als ihre ostdeutschen Landsleute. Wissenschaftler seien stark von ihren Geldgebern abhängig, ist hier die Meinung bei 67 Prozent (63 Ost). »Weil Wissenschaftler oft Ergebnisse ihren eigenen Erwartungen anpassen« (vulgo Fälschungen) nennen 40 Prozent der West-Befragten als Kritikpunkt, während nur 29 Prozent im Osten dieser Ansicht sind. Die Geldabhängigkeit wird von 84 Prozent der LINKEN-Anhänger am meisten genannt, am wenigsten von den Unions-Anhängern (55).

Und woher kommt das Geld? Hier gehen erstaunlicherweise die Sichtweisen auseinander. Während im Westen 44 Prozent der Befragten die Industrie und die Wirtschaft an erster Stelle als Wissenschaftsfinanziers nennen, ist es bei den Ostdeutschen mit 41 Prozent der Staat. Auch die Pharmakonzerne und die Medizinindustrie stufen die Westdeutschen mit 22 Prozent als Geldgeber höher ein als die Ostdeutschen (19). Allerdings finden bei anderen Fragen beide Landesteile, dass der Einfluss der Wirtschaft auf die Wissenschaft zu groß sei (je 68 Prozent).

Bei wissenschaftlichen Streitthemen lassen sich ebenfalls West-Ost-Differenzen ausmachen. Während 84 der West-Befragten der Meinung sind, der Klimawandel sei im Wesentlichen vom Menschen und seiner Wirtschaftsweise verursacht, sehen dies im Osten nur 75 Prozent, auch dies allerdings eine deutliche Mehrheit. Bei der Evolutionstheorie ist man mit 79 Prozent wieder im Gleichklang, während die Impffrage unterschiedlich bewertet wird. »Kinder zu impfen schadet mehr als es nützt« - dieser Aussage schließen sich im Westen 14 Prozent an, während es im Osten nur 6 Prozent sind.

Auch hier bringt die parteipolitische Lupe erstaunliche Befunde zutage. Der menschengemachte Klimawandel ist bei den Anhängern der Grünen zu 92 Prozent akzeptiert, bei den LINKEN zu 91 Prozent - während die AfD mit 54 Prozent abgeschlagen eine Extremposition einnimmt (immerhin aber auch bei der Wählerschaft dieser Partei eine Mehrheit). Bei der Evolutionsfrage ist unter den Anhängern der christlichen Parteien die Zustimmung mit 70 Prozent am niedrigsten, während der Koalitionspartner SPD mit 92 Prozent auf Darwins Seite ist. Völlig kunterbunt geht es bei den Impfskeptikern zu: Hier stehen die AfD-Anhänger mit 18 Prozent an der Spitze, aber dann kommen gleich schon die LINKEN und die Grünen (16 bzw. 15 Prozent).

Die Deutschen und ihre Wissenschaft - das neue Wissenschaftsbarometer hat zum Tag der Deutschen Einheit einige interessante Unterschiede zwischen Ost und West zutage gefördert.

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