Allheilmittel Aspirin?

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir wollen möglichst gesund sehr alt werden. Um das zu erreichen, folgen wir zum Teil recht alten medizinischen Ratschlägen. So schlucken Millionen Menschen seit mehr als 70 Jahren täglich 100 Milligramm Aspirin.

Das wohl erfolgreichste synthetische Medikament hat interessanterweise eine lange Vorgeschichte in der Naturmedizin. Seit Urzeiten wurden Extrakte aus Weidenrinde gegen Fieber und Schmerzen verwendet. Der dabei wirksame Hauptbestandteil Salicin wird bei der Verdauung in Salicylsäure umgewandelt. Die stabilere Acetylsalicylsäure wurde erstmals 1897 von Felix Hoffmann in den Farbenfabriken Friedrich Bayer & Co. synthetisiert.

Der Markenname Aspirin leitet sich von einem anderen natürlichen Vorkommen der Salicylsäure ab, dem Echten Mädesüß, auch Spiere genannt. »A« für die Acetylgruppe, »spirin« für den Inhaltsstoff der Spiere.

Während der Markenname Aspirin 1899 in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes aufgenommen wurde, scheiterte eine Patentanmeldung auf den Wirkstoff im gleichen Jahr, da die Chemische Fabrik von Heyden in Radebeul bei Dresden ebenfalls bereits seit 1897 Acetylsalicylsäure in industriellem Maßstab produzierte und vertrieb. Der Markennamen ging dann als Folge des Ersten Weltkriegs verloren. Dem Verkaufserfolg tat das alles keinen Abbruch.

Doch nun bringt eine Meldung aus der Forschung den Glauben ans Aspirin ins Wanken: Das Risiko für den allerersten Herzinfarkt oder Schlaganfall bei älteren, gesunden Leuten wird durch die tägliche Aspirintablette nicht reduziert. Das fand ein Team um John McNeil von der australischen Monash Universität in Melbourne in einer siebenjährigen Studie heraus: Dafür wurden insgesamt 70 000 über 70 Jahre alte Australier und US-Amerikaner untersucht, die täglich brav ihr Aspirin schluckten.

Das »New England Journal of Medicine« (DOI: 10.1056/NEJMoa1805819) brachte dazu drei große Artikel. Mein Hongkonger Kollege Gabriel Hoi Kin, immerhin früher Präsident der Hongkonger Medizinervereinigung, schrieb dazu in der »South China Morning Post«, in Hongkong habe man Aspirin immer schon nur empfohlen, um das Wiederauftreten von Infarkten oder Schlaganfällen zu verhindern. Blutungen als Nebenwirkung würden nämlich durch Aspirin stimuliert. »Gesunde Ältere brauchen Aspirin nicht«, schreibt der Chinese kategorisch.

»Millionen gesunder älterer Menschen weltweit machen das also unnötigerweise«, resümieren auch die Australier in ihren Fachartikeln. McNeil fügt aber diplomatisch weise hinzu: »Folgen Sie dennoch immer dem Ratschlag Ihres Arztes oder Ihres Apothekers! Unsere Ergebnisse treffen nur auf völlig gesunde Ältere zu, also nicht auf Leute, die bereits Infarkte, Schlaganfälle hatten oder aber Angina pectoris, einen Stent oder Bypass haben und nun mit Aspirin Probleme verhindern wollen. Das selbstständige Absetzen von Aspirin kann auch gefährlich sein.«

Ja, was denn nun? Nur nicht selber entscheiden?

Also hole ich mir einen Termin für nächste Woche bei meinem chinesischen Arzt Charles Chan. Ich bin schon sehr gespannt auf sein Yin und Yang, sein sowohl als auch …

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