»Wir überraschen Deutschland«

Die Bewerbung um die CDU-Spitzenkandidatur wird zum öffentlichen Basisbekenntnis

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Friedrich Merz’ Plan für die CDU passt auf einen Bierdeckel. Der Kandidat hat rechtzeitig vor der ersten Regionalkonferenz am Donnerstag zu twittern begonnen. Und sein erster Tweet zeigte besagten Untersetzer mit der Aufschrift: »CDU - Aufbruch und Erneuerung jetzt auch auf Twitter - Friedrich Merz.« Der einstige Fraktionsvorsitzende im Bundestag, der in den letzten Jahren dem Vermögensverwalter Blackrock mit seiner Expertise diente, wird bis heute mit einem Steuerkonzept identifiziert, das er 2003 auf einem Bierdeckel unterzubringen versprach.

Aufbruch und Erneuerung versprechen freilich alle Kandidaten für den CDU-Vorsitz ihrer Partei. Und seit Donnerstag tun sie es Auge in Auge mit der Partei, in einer Mammuttour durch die Regionen des Landes. Natürlich geht alles ganz demokratisch und unvoreingenommen zu auf den Regionalkonferenzen der CDU, auf denen sich die Kandidaten um die Nachfolge Angela Merkels an der Parteispitze ins rechte Licht zu rücken versuchen.

Das Los entscheidet, wer als erster ans Mikrofon darf. Auch am Donnerstag in Lübeck. Drei Stunden werde das erste von insgesamt acht Treffen dieser Art dauern, hatte der CDU-Landeschef und Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Daniel Günther, am Morgen im Rundfunk kalkuliert. Das ist viel Demokratie für die Verhältnisse der CDU. Doch der Eindruck einer debattenfreudigen Partei wird in diesen Tagen hartnäckig am Leben gehalten. So, als stünde die Mitgliedschaft der CDU soeben vor der Frage, in welche Richtung sie das Schiff für die nächsten Jahre ausrichten wolle.

Ein anderer der drei von insgesamt zwölf Kandidaten, denen man die größten Chancen einräumt, weil sie hinreichend prominent sind und über politische Erfahrung im Regierungsbetrieb verfügen, nämlich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, geriet beinahe ins Schwärmen, als er in einer Fernsehsendung beschrieb, was sich gerade abspielt. Tausende hätten sich zu den Konferenzen angemeldet, die Partei bekomme das Sagen, und natürlich sieht er, Spahn, sich als Kandidat, der die Debatten der Partei am besten zu erneuern verspricht. »Breitere Debatten, gut geführte Debatten«, kündigt er an. »Wir überraschen Deutschland«, so Spahn.

Die CDU-Mitgliedschaft der nördlichen Bundesländer durfte sich in Lübeck anschauen, wie unterschiedlich die Kandidaten Spahn, Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz zu sein versuchen. Fakt ist, dass Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer ganz ähnlich wie Spahn klingt, wenn sie die Debattenzukunft ihrer Partei ausmalt, nur ein ganzes Ende detaillierter und ausgereifter als dieser. Kein Wunder, arbeitet sie im Auftrag Merkels doch an einem neuen Parteiprogramm. Dass sie mit Merkel auf einer Linie liegt, was die politische Ausrichtung der Partei angeht, daraus machte sie schon bei ihrer öffentlichen Vorstellung vor einer Woche kein Geheimnis.

Mit Friedrich Merz ist dagegen ein Kandidat im Rennen, der die Augen im CDU-Wirtschaftsflügel leuchten lässt, aber für Merkel das größte Risiko darstellt. So wenig, wie Merz zwar mit dem Brauch brechen dürfte, dass die Partei den Kurs nachzuvollziehen hat, den die Führung ihr vorgibt und meist in Regierungsverantwortung bereits anvisiert, so wenig traut man ihm zu, dass er sich in Loyalität zur amtierenden Bundeskanzlerin unterordnen würde. Weshalb er es von den drei genannten Kandidaten vielleicht am schwersten haben dürfte, die Partei von seiner Anschmiegsamkeit gar an die Mitgliedschaft zu überzeugen.

Das ist ja tatsächlich die Besonderheit der anstehenden Wahl auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg: Mit der Wahl wird auch eine Art Vorentscheidung über die oder den künftigen Regierungschef(in) getroffen - und das bei andauernder Kanzlerschaft Angela Merkels. Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz dürften zur Gefolgschaft in sehr unterschiedlicher Ausprägung bereit sein und stellen deshalb für Merkel auch unterschiedliche Risiken für ihre Absicht dar, diese Legislaturperiode an der Spitze der Großen Koalition zu vollenden.

Für ein Verständnis der CDU als Mitglieder- und Programmpartei steht am glaubwürdigsten noch Annette Kramp-Karrenbauer. Das scheinen die Anhänger der Partei ähnlich zu sehen. In einer Umfrage des ARD-DeutschlandTrends sprachen sich 46 Prozent der befragten CDU-Anhänger dafür aus, sie solle neue CDU-Vorsitzende werden. Eine Debattenpartei dürfte die CDU auch unter ihrer Führung allerdings kaum werden. Konservativ heißt dort schließlich auch: Folgen.

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