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Die Netto-Null muss stehen

EU-Kommission legt Klimaschutzstrategie vor - ohne konkrete Maßnahmen zur Realisierung

  • Sandra Kirchner
  • Lesedauer: 3 Min.

Die EU-Kommission will die Zügel in der Klimapolitik anziehen. Bis 2050 soll die Europäische Union ihren Treibhausgasausstoß auf netto null senken, heißt es in der am Mittwoch vorgestellten Strategie zur Reduzierung der Treibhausgase. Die Pläne sehen eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas sowie den Umbau der europäischen Volkswirtschaften vor. Einige Branchen könnten demnach verschwinden. Die Dekarbonisierung der Industrie soll mit Forschungsgeldern unterstützt werden. Emissionen, die nicht vermieden werden können, sollen »ausgeglichen« werden, etwa durch Aufforstung von Wäldern oder mit Technologien wie der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS).

»Wir verstärken unsere Bemühungen, damit Europa die erste große Volkswirtschaft der Welt wird, die 2050 klimaneutral ist«, sagte der zuständige EU-Kommissar Miguel Arias Cañete. Mit bereits einsatzfähigen Technologien sei es möglich, die langfristigen Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.

In acht Szenarien zeigt die EU-Kommission auf, wie die 28 Mitgliedsstaaten ihre klimaschädlichen Emissionen deutlich senken können. Die Szenarien unterscheiden sich in den Zielen für 2050 und setzen bei der Energieversorgung, der Energieeffizienz, bei Verkehr, Industrie, Landnutzung, Infrastruktur sowie dem Einsatz der umstrittenen CCS-Technologie an. Die Kommission favorisiert zwei der radikaleren Szenarien mit einer Netto-Null - möglich wird das aber nur durch Kombination von 95 Prozent weniger Emissionen bis 2050 und fünf Prozent Dekarbonisierung mittels CCS.

Bislang liegt die Zielmarke bei 80 bis 95 Prozent. Diese stammt aus dem Jahr 2014 und wurde bisher nicht an die Verpflichtungen von Paris und an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. Nun gehe die EU-Kommission einen großen Schritt nach vorn, meint Michael Schäfer vom WWF. »Sie hat mit ihrer Langfriststrategie als erste Industriegemeinschaft eine Antwort auf den Sonderbericht des Weltklimarats vorgelegt.« Darin waren verstärkte Klimaschutzanstrengungen gefordert worden.

Um den Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, wie es die Staatengemeinschaft vor drei Jahren mit dem Paris-Vertrag beschlossen hat, braucht es indes noch ehrgeizigere Ziele. »Die EU muss schon bis 2040 klimaneutral werden, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden«, meint Tara Connolly von Greenpeace. Die Begrenzung der Erderwärmung sei für Millionen Menschen weltweit »eine Frage von Leben und Tod«.

Die Veröffentlichung der EU-Strategie erfolgt wenige Tage vor Beginn der UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice. »Es wird kein einfacher Gipfel werden«, sagte Arias Cañete. Aber wenn die EU vorangehe, würden andere folgen. Katowice gilt als wichtigstes Treffen seit Paris. Hier wollen die Staaten ein Regelwerk mit konkreten Vorgaben für die Umsetzung des Klimavertrages beschließen.

Wie die Dekarbonisierung in Europa bis 2050 gelingen kann, steht auf einem anderen Blatt: Bislang hat die EU ihren CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 gerade mal um 22 Prozent gesenkt. Mit dem jüngst beschlossenen Gesetzespaket zum Ausbau der Erneuerbaren und der Steigerung der Energieeffizienz sollen die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent und bis 2050 um 60 Prozent schrumpfen. Die Lücke zur Netto-Null ist gewaltig.

Der jetzige Vorstoß enthält auch keine weiteren Maßnahmen, die erforderlich sind, um klimaneutral zu werden. Umweltschützern zufolge lassen sich die Ziele zudem nur mit ambitionierteren Zwischenzielen erreichen: »Wir kommen nicht umhin, schon für 2030 die Pläne entsprechend anzupassen und schon früh deutlich mehr Klimaschutz zu betreiben«, sagt Schäfer vom WWF.

Außerdem ist die 2050er Strategie bislang nur ein Vorschlag Brüssels, dem die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament zustimmen müssen. Ob die Strategie so verabschiedet wird, ist fraglich. Spätestens 2020 muss die EU aber ihre Vorhaben an die Vereinten Nationen übermitteln - so sieht es das Paris-Abkommen vor.

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