Im Hungerstreik statt in der Uni

Kurd*innen in Berlin haben sich internationalem Hungerstreik für Abdullah Öcalan angeschlossen/ Von der SPD werden sie nicht empfangen

  • Lou Zucker
  • Lesedauer: 4 Min.

Nuda müsste jetzt eigentlich in der Uni sein. Es ist kalt an diesem Mittwochvormittag vor der SPD-Zentrale in Berlin, trotzdem trägt die 22-Jährige Lehramtsstudentin, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, ihre schwarze Regenjacke offen. Man soll schließlich das T-Shirt mit der Aufschrift «Freiheit für Abdullah Öcalan» gut sehen können, dass sie sich über ihren grauen Kapuzenpullover gezogen hat. Nuda ist im Hungerstreik. Es ist der siebte Tag.

«Es ist natürlich schon ein bisschen anstrengend, sieben Tage nichts zu essen, aber es fühlt sich gut an, Teil dieser Bewegung zu sein», sagt sie. Nuda redet schnell und fließend, ihr Blick hinter der runden, goldenen Brille ist wach, von der Anstrengung lässt sie sich nichts anmerken. Eine weitere junge Frau und drei ältere Männer sind mit ihr gekommen, alle tragen das selbe T-Shirt. Sie sind sechs von 16 Kurd*innen vom Verein Nav-Dem in Berlin, die sich einem internationalen Hungerstreik angeschlossen haben. Auch in anderen europäischen Ländern, in der Türkei und im kurdischen Teil Syriens wird gestreikt, ab dem 17.12.2018 sind gemeinsame Aktionen in Straßburg geplant. Hakan Taş von der Linkspartei hat sich mit ihnen bereits mit den Nav-Dem-Mitgliedern getroffen, am Donnerstag ist ein Besuch in der CDU-Zentrale geplant. Am heutigen Mittwoch wollen sie der SPD ihre Forderungen vortragen.

In erster Linie geht es den Hungerstreikenden um die Beendigung der Isolationshaft von Abdullah Öcalan, Vordenker der kurdischen Bewegung und Gründer der PKK, die auch in Deutschland als Terrororganisation eingestuft und verboten ist. Seit zwei Jahren ist kein Lebenszeichen von ihm an die Öffentlichkeit gedrungen. «Nur ein Wort von Öcalan könnte der Bewegung neue Energie verleihen», glaubt Nuda. «Das kurdische Volk ist emotional sehr eng mit ihm verbunden».

Solidarität mit politischen Gefangenen - auch mit türkischen

Neben Öcalan, der bereits seit 1999 in Haft ist, befinden sich noch viele weitere Oppositionelle in der Türkei im Gefängnis. Initiiert hat den Hungerstreik die kurdische Politikerin Leyla Güven bereits am 7. November. Der auf zehn Tage befristete Hungerstreik der Berliner Kurd*innen solidarisiert sich mit ihr. Güven, die im Juni für die pro-kurdische Partei HDP ins türkische Parlament gewählt wurde, konnte ihr Amt bis jetzt nicht antreten, da sie seit Januar dieses Jahres in Haft ist – ihr wird Terrorpropaganda vorgeworfen. Sie hatte sich kritisch gegen türkische Militäraktionen in der kurdischen Region Afrin in Nordsyrien geäußert. Mehrere HDP-Politiker*innen befinden sich derzeit im Gefängnis, darunter auch ihr ehemaliger Vorsitzender Selahattin Demirtaş. Seit 2015, dem Jahr, in dem die HDP erstmals die umstrittene 10-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen überwand, wurde etwa jedes dritte Parteimitglied mindestens ein mal von der Polizei festgehalten, jedes zehnte wurde schon formell verhaftet. «Wir solidarisieren uns nicht nur mit Öcalan, sondern mit allen politischen Gefangenen», sagt Nuda. Damit meint sie nicht nur Kurd*innen, sondern auch oppositionelle Türk*innen.

Am Empfang der SPD-Zentrale bittet der größte und älteste der Hungerstreikenden mit tiefer, ruhiger Stimme darum, mit dem Vorstand zu sprechen. «Vom Vorstand haben wir 200 Telefonnummern», sagt die Mitarbeiterin. «Außerdem ist kaum jemand da, die meisten sind schon im Weihnachtsurlaub, es ist Sitzungswoche – warum machen Sie keinen Termin?» Das hätten sie versucht, erklärt ihr der Aktivist, per E-Mail hätten sie die Antwort erhalten, es gäbe so kurzfristig keinen Termin, sie sollten einfach vorbeikommen. Die Mitarbeiterin kann sich das nicht vorstellen. «Ohne Termin geht hier gar nichts.» Für die Kurd*innen, die seit sieben Tagen keine Nahrung zu sich genommen haben und in drei Tagen ihren Hungerstreik beenden wollen, eilt es.

In Deutschland kaum mehr Freiheit als in der Türkei

Nach etwa einer Viertelstunde kommt ein Pressesprecher mit weißem Hemdkragen unter seinem dunkelblauen Pullover ins Foyer und lässt sich von den Aktivist*innen eine Pressemappe mit ihren Forderungen geben. Er werde die Informationen an die zuständige Stelle weiterleiten, erklärt er betont freundlich.

«Die SPD sagt, dass sie etwas für das Volk hier in Deutschland tun will», sagt Nuda zurück in der Kälte. «Wir als Kurdinnen und Kurden sind auch Teil dieses Volkes». Sie wünscht sich von den Parteien, dass ihre Stimmen gehört werden, dass die Parteien die Situation der Kurd*innen im Nahen Osten und in der Diaspora analysieren und Druck auf die türkische AKP-Regierung ausüben. Nudas Eltern sind vor ihrer Geburt aus der Türkei nach Deutschland geflohen. «Vor 20, 30 Jahren konnte man in der Türkei gar nicht offen sagen, »ich bin Kurde«, erzählt Nuda. Viele, die sich dagegen auflehnten, seien verschwunden oder getötet worden. »Meine Eltern wollten einfach nur ihre Sprache sprechen.« Doch auch hier in Deutschland fühlt sich Nuda nicht wirklich frei: Porträts von Abdullah Öcalan, dessen Philosophie sie vertritt, sind seit 2017 verboten. »Wir sind mit Hoffnung hierher gekommen, aber tagtäglich sieht man, dass es eigentlich nicht so viel anders ist, als in der Türkei.«

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