Auf die sanfte Tour

Die WADA will Russland nicht verprellen, um den Dopingskandal doch noch aufzuklären

Im November wird die Spitze der Welt-Antidoping-Agentur WADA neu gewählt, die Amtszeit ihres Präsidenten Craig Reedie neigt sich also dem Ende entgegen. Der 77-jährige Schotte hat vor allem im politischen Westen längst seinen Ruf als sanfter Beschwichtiger sicher, und er scheint ihn in den letzten Monaten vor der Rente auch nicht mehr ablegen zu wollen. In diese Erzählung passt zumindest die Entscheidung der von Reedie geführten WADA-Exekutive am Dienstag, die jüngste Fristverletzung der russischen Anti-Dopingagentur RUSADA nicht zu sanktionieren.

Sie war im Zuge des russischen Dopingskandals im Jahr 2016 suspendiert, trotz nicht erfüllter Auflagen im vergangenen September aber wieder anerkannt worden. Daran waren jedoch neue Auflagen gebunden, so auch, Inspekteuren der WADA bis zum 31. Dezember 2018 Zugang zu Daten des Moskauer Kontrolllabors zu verschaffen. Nachdem die Ermittler jedoch - mehr als vier Jahre nach der Aufdeckung des Skandals - erneut wochenlang hingehalten wurden und ihnen der Zugang erst zehn Tage nach Fristende gewährt wurde, wollten Kritiker die RUSADA erneut bestraft sehen. Die WADA jedoch ließ wieder Milde walten.

Dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, fiel es in einer ersten Reaktion schwer, »die Entscheidung gegenüber Athletinnen und Athleten, aber auch der Öffentlichkeit zu vertreten und ein solches Vorgehen zu akzeptieren«. Der gesamte Prozess habe jedenfalls nicht dazu beigetragen, »das Vertrauen in die WADA und den Antidopingkampf zu stärken«.

Auch die deutsche NADA hielt die Missachtung der Frist für inakzeptabel. Und Travis Tygart, Chef der US-Agentur USADA, forderte gleich einen kompletten Wandel des weltweiten Dopingsanktionssystems, »das Athleten streng zur Rechenschaft zieht, es Staaten jedoch erlaubt, die Olympischen Spiele zu korrumpieren und Sportler sowie die Öffentlichkeit massiv zu betrügen«.

Reedie fährt bei der Begründung für die Entscheidung zweigleisig. Das erste Argument ist ein formales: Auch jeder anderen nationalen Agentur würde bei einem Verstoß gegen Regularien die Möglichkeit gegeben, diesen binnen drei Monaten zu korrigieren, bevor gleich die Suspendierungskeule geschwungen wird. Allerdings hinkt der Vergleich, denn die RUSADA ist nicht gerade unbescholten. Die Russen wussten, dass sie unter besonderer Beobachtung standen. Zudem hatte Reedie selbst gesagt, dass die Suspendierung wieder in Kraft trete, sollte die Frist unerhört verstreichen. Jetzt zeigte er selbst, wie leer die eigene Drohung letztlich doch war.

Das zweite Argument für seinen sanften Kurs ist, dass man heute viel weiter sei als im vergangenen Sommer. Damals hatte sich Russland stur gestellt und den Zugang zu den Labordaten komplett verweigert. Ohne die Daten könne der Skandal nie gerichtsfest aufgeklärt werden. Erst die Aussicht auf Wiederaufnahme in die Sportfamilie habe die Russen zur Übergabe der Daten animiert. »Wir wollen sicherstellen, dass Betrüger zur Rechenschaft gezogen werden. Ich hoffe, dass die Athleten und andere sehen, dass wir gute Fortschritte machen«, sagte Reedie am Dienstag.

Hunderte Athleten sollen zwischen 2012 und 2015 in Moskau mit auffällig hohen Werten von Dopingsubstanzen aufgefallen sein, doch die üblicherweise folgenden genaueren Tests wurden nie durchgeführt, die Athleten also vor Sperren geschützt. Die WADA will nun prüfen, wer betroffen war. Deren Proben werden dann aus Moskau angefordert und selbst untersucht - sollte Russland sich nicht erneut querstellen oder die Proben längst vernichtet haben. Beides würde wohl erneut eine Suspendierung der RUSADA nach sich ziehen, die schuldigen Sportler aber davonkommen lassen.

Sollte aber Hunderten Sportlern doch noch ein Dopingverstoß nachgewiesen werden, hätte Reedie am Ende Recht behalten. Diese Verfahren können sich jedoch noch über Jahre hinziehen. Die Lorbeeren erntet dann vermutlich jemand anderes.

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