Gut gemeinte Projekte sind noch keine Idee

Alle Versuche der SPD, aus dem Umfragetief rauszukommen, schlagen fehl. Tom Strohschneider sucht Gründe, warum das so ist

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Der SPD ist oft der Ratschlag erteilt worden, sich auf einen Kurs zurückzubesinnen, der den verteilungspolitischen Interessen der fälschlich so genannten »kleinen Leute« verpflichtet ist. Wieder sozialdemokratisch werden, heißt die Parole. Schaut man sich an, was die SPD in der Großen Koalition derzeit an Projekten verfolgt, sollte man mindestens zugeben, hier traue sich jemand bei der politischen Orientierungssuche auch wieder auf die linke Seite des offenen Feldes.

Da wird ein »Grundrenten«-Vorschlag gemacht, der über die altersvorsorglichen Vereinbarungen mit der Union hinausgeht. Da diskutiert man vielstimmig darüber, wie das Hartz-Regime reformiert werden könnte. Da hat man sich die Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro zu eigen gemacht. Das »Gute-Kita-Gesetz« und die Wiedereinführung der Parität bei der Finanzierung der Krankenversicherung gehören auch in diese Liste. Und selbst wenn das alles aus dem Blickwinkel von noch weiter links nicht hinreichend ist oder nur als erster Schritt Anerkennung findet - es wird wenigstens gelaufen, nicht nur geredet. Dabei geht die SPD nicht eben widerspruchsfrei voran, wie sich zeigt, wenn der eine Minister seine »Grundrente« vorschlägt und der andere Parteifreund gleich erst einmal auf schrumpfenden Spielraum öffentlicher Kassen verweist, aus denen das Projekt bezahlt werden soll.

Aber daraus erklärt sich nicht, dass die Zustimmung zur SPD im günstigsten Fall stagniert. Gemessen an den eigenen Ansprüchen liegen die Sozialdemokraten mit dem Gesicht nach unten auf der historischen Jammertalsohle. Woran liegt es dann?

Sicher auch nicht an der Abteilung Alterstestosteron, die bei unerbetenen Auftritten schlechte Ratschläge erteilt. Sicher wäre es eine Überlegung wert, Sozialdemokratie nicht immer nur als »Schlagt den eigenen Chef oder die eigene Vorsitzende« auszubuchstabieren. Aber das Problem der SPD ist nicht zuallererst eines mangelnden Betragens ihrer Funktionäre.

Ist womöglich der eingangs zitierte Ratschlag falsch, die SPD müsse wieder sozialdemokratischer werden? Es wäre sicher hilfreich, wenn man vorsichtiger mit wohlfeilen Behauptungen umginge, laut denen man als Sozialdemokratie heute nur einen Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn aufstellen müsse, und dann würden Wahlerfolge praktisch unvermeidbar sein. Falsch muss der Ratschlag, sich deutlicher links positionieren, aber trotzdem nicht sein. Es kommt darauf an, was man unter »wieder sozialdemokratischer werden« versteht.

Könnte es sein, dass es gar nicht »nur« um die Rücknahme von als falsch kritisierten Regelungen geht? Dass von den Leuten nicht vor allem Reparaturarbeiten erwartet werden - hier eine Umbenennung, da eine Korrektur, dort ein guter Kompromiss?

Ein paar gute und gut gemeinte Projekte sind eben noch keine Idee, wie eine Gesellschaft anders besser funktionieren könnte. Das aber war einmal ein großer Antriebsstoff für die Sozialdemokratie: sich mit denen auf einer Seite fühlen, die den Anspruch verfolgen, Gesellschaft progressiv zu gestalten. Umzugestalten. Wirklich zu verändern. Diese »historische Mission« gehörte zum Bild der SPD, zu dem, was sich in den Köpfen als Anschauung über sie festgesetzt hatte. Da eine Partei zu wissen, die zwar dieses Gesetz und jene Maßnahme verfolgt, die diese aber zugleich als Teil eines größeren Ganzen in der Zukunft verstand.

Sozialdemokratie, das hieß, eine politisch wie ökonomisch begründete Strategie zu verfolgen, die den Raum stetig zu erweitern versucht, in dem das gesellschaftliche Interesse gegenüber dem der privaten Aneignungslogik wirksam werden kann. Sozialdemokratie, das meinte, der Politik das Primat gegenüber der Ökonomie zu verschaffen und eine Gesellschaft zu prägen, in der die Dinge anders laufen, in der niemand bloß Subjekt der Entscheidungen sein muss, die andere aufgrund ökonomischer Macht treffen können. Es ging um eine Vision aus mehr Sozialeigentum, mehr Öffentlichem, mehr Demokratie, mehr Freiheit, weniger Markt, weniger Kapitaleinfluss, weniger Rendite-Rationalität.

Es fehlt der SPD heute an Leuten, die diesen utopischen Überschuss nicht als sinnlose Vision betrachten. Es fehlt ihr an einer Debatte darüber, wie es um die sozialdemokratischen Ressourcen steht in Zeiten, in denen man meist in einem nationalstaatlichen Raum agiert, die Bedingungen aber in einem globalen Raum des Kapitals gesetzt werden. Wie soll soziale Integration in Zeiten gelingen, in denen wir wissen, dass es nicht mehr Wachstumsraten wie in den 1960er Jahren gibt und diese angesichts der planetaren Herausforderungen auch nicht mehr Ziel sein können? Antworten darauf zu finden, das wäre mal wirklich »linker Realismus«.

Und so steckt die SPD in einem Dilemma: Jeder Schritt nach links wird ihr beargwöhnt, weil unverbundene einzelne Projekte das Loch nicht auszufüllen vermögen, das in vielen offenbar aufgerissen ist und aus dem es ruft: Die Sozialdemokratie hat uns verlassen. (Nein, nicht »verraten«. Aber das ist eine andere Diskussion.)

Zugleich wächst der tagesaktuelle Druck, irgendetwas zu tun, was den Umfrageabsturz aufhalten möge, was Schluss macht mit dem herunterziehenden Gerede vom möglichen Verschwinden der SPD, was dann auch die Machtspielchen in den eigenen Reihen beenden würde und Möglichkeiten schaffen könnte, über sagen wir es doch so: demokratisch-sozialistische Politik für das 21. Jahrhundert zu reden.

Das wäre übrigens eine Diskussion, die nicht nur der SPD gut stehen würde. Es ist ja nicht so, dass auf der linken Seite nur diese Partei stagniert.

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