Wahl zur Stadtteilvertretung wurde abgebrochen

Weil ein extremer rechter Aktivist kandidierte, kam es in Moabit bei Abstimmung zu Protesten

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

So viel Interesse an den Wahlen zur Stadtteilvertretung im Moabiter Sanierungsgebiet »Aktives Zentrum Turmstraße« gab es noch nie. Vor allem weil mit dem selbst ernannten »Volkslehrer« Nikolai Nerling ein stadtbekannter und bundesweit vernetzter Aktivist der extrem rechten Szene seine Kandidatur für das Gremium angekündigt hatte. Über 400 Anwohner protestierten am Dienstagabend vor und in der Heilandskirche in der Thusneldaallee, wo die alle zwei Jahre stattfindende Wahl durchgeführt werden sollte.

Doch dazu kam es nicht. Noch vor dem Beginn der Versammlung beschlossen die Veranstalter auf Anraten der Polizei, die bereits überfüllte Kirche aus Sicherheitsgründen zu schließen. Nach einer Abstimmung mit unklarem Ausgang verkündete der Versammlungsleiter zunächst, dass die Wahl dennoch durchgeführt werden solle. Doch nach einer kurzen, heftigen Diskussion, in der darauf hingewiesen wurde, dass viele wahlberechtigte Moabiter dann von der Wahl ausgeschlossen wären, wurde diese Entscheidung revidiert. Die Abstimmung soll noch vor den Sommerferien an einem anderen, größeren Ort durchgeführt werden.

Vor der Kirche standen nach Polizeiauskunft bis zu 200 Menschen, darunter auch vereinzelte Unterstützer des »Volkslehrers«. Doch die meisten waren gekommen, um dessen Wahl zu verhindern, durch entsprechende Stimmabgabe oder auch eigene Kandidaturen. Dem war eine intensive Mobilisierung in dem Stadtteil vorausgegangen. Nerling hatte seit rund einer Woche versucht, seinen geplanten Eintritt in die Stadtteilvertretung mit Plakaten im Kiez bekanntzumachen. Doch stets sorgten Aktivisten verschiedener Initiativen dafür, dass die Pamphlete oftmals binnen weniger Minuten in Müllkörben landeten.

Der gelernte Realschullehrer ist keineswegs ein beliebiger Rechtspopulist, sondern eine Schlüsselfigur der Szene. Zusammen mit anderen extremen Rechten veranstaltet er seit einiger Zeit regelmäßige Kundgebungen vor dem Berliner Reichstag. Außerdem betreibt er mehrere Videokanäle auf Plattformen wie YouTube. Im Mai 2018 erhielt Nerling, der zuletzt an einer Grundschule in Gesundbrunnen tätig war, von der Senatsschulverwaltung seine fristlose Kündigung, sein dagegen eingereichter Einspruch wurde vom Arbeitsgericht im Januar abgewiesen.

Im Februar sorgte der »Volkslehrer« erneut für Aufsehen, weil er bei einem Besuch der Gedenkstätte im Konzentrationslager Dachau Mitarbeiter beschimpfte und anwesende Schülergruppen vor deren »Lügen« warnte. Auch überregional tritt er in Erscheinung. Am ersten Wochenende im April wird er als Gast für einen Kongress der Nazi-Postille »Recht und Wahrheit« in Harztor (Niedersachsen) angekündigt, wo er eine Veranstaltung mit neofaschistischen Parteien zur Europawahl moderieren soll.

Zu den Protesten gegen seine Kandidatur hatten unter anderem Stadtteil- und Mieterinitiativen, Bezirkspolitiker und der Flüchtlingshilfeverein »Moabit hilft« aufgerufen.

Auch Steve Rauhut, der in diesem Stadtteil mehrfach als Direktkandidat der LINKEN kandidierte und sich vor allem durch seine Tätigkeit beim Aufbau des »REFO-Campus« einen Namen machte, war dabei. Die Protestbeteiligung an diesem Abend wertete Rauhut als »großen Erfolg«. »Viele Moabiter haben deutlich gemacht, dass Nazis und Rassisten in unserem Bezirk keine Chance haben«, sagte Rauhut dem »nd«. Den Abbruch der Veranstaltung sah Rauhut indes kritisch, da Nerling dies für sich ausschlachten werde und bei der erneuten Wahl erneut eine Bühne bekäme. Andererseits wäre es auch problematisch gewesen, so viele Moabiter wegen Platzmangels von der Wahl auszuschließen. »Die Stadtteilvertretung, muss diskutieren, wie man die Kandidaturen von offen auftretenden Neonazis möglicherweise verhindern kann«, sagt Rauhut, der selbst dem Gremium angehört.

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