Wie Kevin Kühnert kurz das alte Glück zurückbrachte

Die westdeutschen Pressefritzen jubilieren. Endlich können sie sich und ihre Geldgeber wieder schamlos verteidigen: Gegen Kevin Kühnerts Satz von der «Kollektivierung. Wie früher gegen den »Kommunismus«.

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Helmut Kohl, Papst Johannes Paul II. und David Hasselhoff den Kommunismus besiegt hatten, triumphierten die westdeutschen Pressefritzen mit. Sie hatten alles: die nationale Einheit, Auflage, Anzeigenkunden und das Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

So geil war das, dass sie noch jahrzehntelang beim geringsten vermuteten Zucken auf die toten Ochs und Esel einschlugen, bis die Maden spritzten - die dann unter anderem in Form ehemaliger K-Grüppler in den Springer-Medien Karriere machten.

Als aber die Verkaufszahlen sanken, die Werbekunden erst ins Privatfernsehen, dann ins Internet verschwanden, mussten sie erst recht weitermachen, allein schon aus nostalgischer Rückversicherung, doch wirklich echt richtige Gewinner zu sein. Und als eine Kanzlerin zu oft »alternativlos« sagte, schäumten sie, ohne je zu merken, dass sie mit fast nichts anderem beschäftigt waren, als ein Wirtschaftssystem, das die Grundlagen des Lebens auf diesem Planeten zerstört, als alternativlos darzustellen. Und als sie so ein rechtskonservativliberales Milieu beförderten, das sich »Alternative« nannte und früh erkennbar dem Rechtsextremismus entgegenstrebte und sie bald »Lügenpresse« taufte, da waren sie vollkommen ratlos, wie sie dem entgegentreten sollten, was ihnen doch mal so nah war.

Doch dann kam - juchhe! - Kevin Kühnert und sprach zu einem der ihren einen Satz mit »Kollektivierung«, und es war auf einmal wie früher. Glücklich schlugen sie und jauchzten und konnten schamlose, polizeilich genehmigte Märsche von Nazis ignorieren, denn der eigentliche Feind aus den goldenen Jahren war zurück! Und welch Glück, sie konnten sich und ihre Geldgeber sogar tapfer verteidigen. »Nach Artikel 15 ist die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln erlaubt, wenn auch gegen Entschädigung. Tut sich über diesen als Ausnahme gedachten Artikel nicht ein gefährliches Schlupfloch in den Sozialismus auf?«, verbreitete die »FAZ«-Wirtschaftsredakteurin Heike Göbel Spannung. Aber einige Paragrafen und Zitate weiter wusste sie: »Es gibt im Grundgesetz also gute Vorkehrungen, damit sozialistische Träume nicht Wirklichkeit werden.« Ja, puh, das war noch mal knapp!

Aber gemahnt werden musste dann schon noch: »Die schönsten gesetzlichen Sicherungen werden aber nicht weit tragen, wenn die Bürger den über das materielle hinausgehenden Wert ihrer so freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht mehr verstehen und schätzen.« Zum Glück verstand immerhin Göbel noch, wen man schätzen muss: Die soziale Marktwirtschaft »schafft einen enormen individuellen Wirtschaftsanreiz, weil die Früchte der Mühe (abzüglich eines Steueranteils) dem zufließen, der sich anstrengt und etwas riskiert.« Und weil das noch nicht barthoniggetränkte Lüge fürs Kapital genug war, behauptete sie munter: »Doch sind auch Verluste und Fehlschläge individuell zu tragen, bevor die Solidargemeinschaft hilft«, so als hätte es das Jahr 2008 nie gegeben. »An der leistungsfähigen, liberalen und sozialen deutschen Wirtschaftsordnung gibt es im Detail viel zu verbessern.« Klitzekleine Details, ja. »Ihre Basis - Eigenverantwortung, Privateigentum, Haftung - sollte nicht in Frage stehen. Ein sozialistisches Experiment auf deutschem Boden muss reichen.«

Aber ein paar sozialistische Gedankenspiele sollte es schon noch geben - und sei es nur, damit gute alte Wirtschaftsjournalistinnen sich gelegentlich zu Oberstufenreferatshöhenflügen aufschwingen können.

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