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Genau hinschauen und hinhören

Christina Morina über das Erstarken von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen und was dagegen zu tun ist

Deutschland wächst rechts zusammen, lautet Ihr Befund, den kein aufmerksamer Zeitgenosse leugnen kann. Aber wie konnte es dazu kommen, ein Menschenalter nach Hitler?

In beiden deutschen Staaten überdauerte unterschwellig rassistisches, rechtsradikales, antidemokratisches und antiparlamentarisches Denken. Seit drei Jahrzehnten bemühen wir uns um ein Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland, zusammengewachsen sind jedoch auf fatale Weise illiberale Traditionen. Nach dem Mauerfall haben sich westdeutsche Rechtsradikale und Rechtskonservative wie Herr Gauland oder Herr Höcke nach Ostdeutschland aufgemacht, das aus ihrer Sicht deutscher geblieben ist als der aufgeklärte »68-versiffte« Westen. Sie knüpften an die Frustrationen der Ostdeutschen an, versicherten ihnen, sie seien nicht Bürger zweiter Klasse, sondern der Kern des deutschen Volkes: »Wir bauen mit euch die deutsche Nation wieder auf.« Das hat im Zusammenspiel mit globalen Ereignissen, Finanzkrise und die »Flüchtlingskrise«, zu Synergieeffekten geführt, weshalb die AfD mehr Anklang findet als alle anderen rechtsradikalen oder rechten Parteien zuvor. Sie wird bis tief in die gesellschaftliche Mitte hinein gewählt.

Dr. Christina Morina

Dr. Christina Morina, geboren 1976 in Frankfurt an der Oder, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Leipzig und Ohio, promovierte an der University of Maryland und war Assistentin am Lehrstuhl Neuere und Neueste Geschichte der Jenenser Universität; seit 2011 ist sie Associated Fellow am Duitsland Instituut Amsterdam. Anlässlich des Erscheinens des von ihr mit Norbert Frei herausgegebenen Bandes »Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus« (Ullstein, 256 S., geb., 20 €) sprach mit der Historikerin und Publizistin (»Die Erfindung des Marxismus«. 2017) Karlen Vesper.

Und zu befürchten ist, dass sie es in Länderregierungen schafft?

Das könnte durchaus geschehen.

Auch auf Bundesebene?

Sie ist die größte Oppositionspartei. Die Frage ist, wie die Parteien der Mitte damit umgehen.

Alle beschwören, nie mit der AfD zu koalieren. Wir haben aber oft genug die Erfahrung gemacht, dass »Sachzwänge« plötzlich politische Versprechen vergessen lassen.

Richtig. Und deshalb wird es schon in diesem Jahr in einigen ostdeutschen Bundesländern spannend. Die demokratischen Parteien müssen sich jedenfalls wesentlich konsequenter für eine starke repräsentative Demokratie engagieren.

Statt sich nur auf die Konkurrenz untereinander zu fokussieren?

Die Wähler entscheiden sich für jene Partei, von der sie annehmen, sie sei in der Lage, Sachprobleme zu lösen. Der Diskurs über relevante gesellschaftliche Fragen ist in Deutschland in den letzten Jahren erlahmt, der Streit in der Großen Koalition ließ die Ränder wachsen. Es reicht nicht, sich nach rechts abzugrenzen, man muss die eigenen Hausaufgaben machen. Demokratie ist ein hartes Arbeitspensum, das Schließen von Kompromissen ein mühsames Geschäft. Heute ist der Glaube weit verbreitet, dass es schnelle technokratische, notfalls autoritäre Lösungen geben muss. Das ist weltweit zu beobachten. Es ist an den gemäßigten Kräften zu zeigen, dass es wert ist, für Kompromisse zu streiten. Und dass dies im Zweifelsfalle eben auch etwas länger dauert.

Hat die Stärkung der Rechten auch mit der Schwäche der Linken zu tun?

Ja, sicher hat das auch damit zu tun, dass die Linke gespalten ist - nach wie vor. Eine tragische Geschichte, die bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreicht und in Deutschland noch eine Extradramatik erhielt durch die deutsche Teilung. In Ostdeutschland ist die Sozialdemokratie extrem schwach verankert, weil sie dort 40 Jahre lang nicht existierte. Alles hat historisch nachvollziehbare Gründe. PDS/DIE LINKE war zwei Jahrzehnte lang in Ostdeutschland die Regionalvertretung wie die CSU in Bayern. Diese Position hat sie abgegeben. Und die AfD hat sie übernommen, die in manchen Regionen 30 Prozent der Stimmen gewinnt. Das ist besorgniserregend.

Was sollten die Linken tun?

Sich um Bündnisfähigkeit bemühen.

Die Sammlungsbewegung »Aufstehen« scheint gescheitert.

Ich denke, wichtiger ist, dass man gesprächs- und kompromissfähig ist. Es geht um Bündnisse, nicht um Bewegungen. In einer parlamentarischen Demokratie werden wichtige Probleme über den gesetzgeberischen Weg gelöst. Und deshalb kann man nur hoffen, dass sich die Spitzen der linken Parteien zusammenfinden.

Viele erwarten mehr plebiszitäre Elemente, wollen nicht nur repräsentiert und regiert werden. Die AfD hängt sich da demagogisch ran.

Tatsächlich erklärt sich der Erfolg der AfD, zum Großteil auch in den westdeutschen Regionen, dadurch, dass manche Menschen nicht mehr daran glauben, von den etablierten Parteien gut repräsentiert und vernünftig vertreten zu werden. Es gibt plebiszitäre Elemente in Länderverfassungen und gute Gründe dafür, warum auf Bundesebene hohe Hürden existieren. Trotzdem ist zu überlegen, wie unsere Demokratie verbessert werden kann. Demokratie ist keine starre Staatsform, sondern verändert sich laufend.

AfD- und Pegida-Anhänger verneinen, Nazis zu sein. Aber es ist doch ein klares Bekenntnis, wenn man in einem Zug mitmarschiert, der von Neonazis angeführt wird.

Das sehe ich auch so. Offenbar ist die Hemmschwelle gesunken. Viele in der bürgerlichen Mitte haben keine Scham mehr, eine Partei zu wählen, die offen mit Neonazis kooperiert. Hier verschiebt sich etwas im öffentlichen Bewusstsein. Was lange aufgrund der deutschen Geschichte tabu war, ist nicht mehr tabu. Ohne die Aufkündigung dieses Konsenses hätte die AfD nicht den Vorstoß in die Mitte der Gesellschaft geschafft.

Ich bin allerdings der Ansicht, dass AfD-Wähler in Ostdeutschland mehrheitlich keine Rassisten und Neonazis sind. Sie wollen mehr Mitsprache - auf eine andere Art, als in der westdeutschen Bürgerbewegung tradiert. Die demokratischen Parteien müssen genau hinschauen und hinhören, welche Bedürfnisse es gibt und überlegen, wie man sie erfüllen kann, welche Verfahren dazu benötigt werden. Die diversen Interessen sind aber nicht, wie viele erwarten, ad hoc und eins zu eins umsetzbar. Das ist illusorisch, so funktioniert ein komplexes Gemeinwesen nicht. Die Mitte-Parteien und die LINKE müssen sich neue Konzepte überlegen, wie sie Bürgerbeteiligung organisieren, die glaubwürdig ist. »Aufstehen« hat mit seiner hybriden Demokratiediskussionsform keine wirkliche Beteiligung bieten können.

Es ist schizophren, dass Menschen die AfD wählen, die in deren Programm völlig ignoriert werden. Etwa bei den Punkten Ablehnung von Mindestlöhnen, antiquiertes Frauenbild etc.

Es gibt Unterschiede zwischen den Landesverbänden. Die ostdeutschen setzen auf einen starken Staat, auf wohlfahrtsstaatliche, sozialstaatliche Programmatiken, die westdeutschen sind eher neoliberal. Deshalb sollte man im öffentlichen Diskurs AfD-Politiker konkret fragen, beispielsweise: »Was habt ihr denn eigentlich für ein Rentenkonzept?« Da stellt sich heraus, die haben keins. Kurzum: Die Debatte darf sich nicht nur auf erinnerungspolitische Auseinandersetzungen beschränken, sie muss auch Sachfragen aufwerfen, wo die AfD am Ende keine Antworten hat.

Apropos: »Erinnerungspolitik«. Trotz der unzähligen Monografien, Dokumentationen, Ausstellungen und Filme über den deutschen Faschismus ist rechtsradikales Gedankengut wieder hoffähig. Wie geht das mit der immer wieder zu hörenden und zu lesenden Behauptung einher, Deutschland sei ein Weltmeister in der Bewältigung der Vergangenheit? Was ich übrigens stark bezweifle.

Es gibt natürlich einerseits die Erfolgsgeschichte: eine schwierige, von Skandalen gepflasterte Geschichte der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in Westdeutschland und dem Antifaschismus in der DDR, der mehr als ein staatlich verordneter war. Auch dort hat es eine intensive Auseinandersetzung mit dem gegeben, was Faschismus war, wenn auch auf einer sehr dogmatischen Ebene und weniger individuell wie in Westdeutschland. Die Errichtung des Holocaustmahnmals in Berlin war dann eine Art gesamtdeutscher Konsens für die Zentralität des Holocaust im Erinnerungsdiskurs.

Andererseits haben wir uns vielleicht zu lange in der Sicherheit gewogen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Die Forderungen nach Schlussstrich und Rückkehr zu einer »normalen Nation« waren in der Bundesrepublik nie gänzlich erloschen. Zum anderen wächst in einer Welt, die immer komplexer wird, das Bedürfnis nach einer eindeutig definierten Gemeinschaft. Und außerdem ist zu überlegen, was eine Erinnerungskultur in einer Einwanderungsgesellschaft sein kann und muss. Wir haben uns zu lange zu intensiv nur mit der Vergangenheit beschäftigt und zu wenig mit der Zukunft der Erinnerung. Aber immerhin: Ein zuversichtliches Fazit ist laut Umfragen, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen an unserer Erinnerungskultur festhalten will und nicht eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad wünscht wie Herr Höcke. Diesen Konsens gilt es zu verteidigen und immer wieder zu erneuern. Darauf darf man sich nicht ausruhen.

Ist es nicht fatal, dass mit der DDR der Antifaschismus und Internationalismus weggebrochen sind?

Gewiss, Solidarität, Frieden, Völkerfreundschaft, Völkerverständigung waren nicht nur Schlagwörter. Ich war im deutsch-polnischen Freundschaftsorchester. Aber dennoch war das alles orchestriert, vom Staat auf eine bestimmte Art und Weise gefördert. Die zivilgesellschaftliche Solidarität, ein Miteinander verschiedener Kulturen im Kiez, in der Nachbarschaft, das auf einem alltäglichen Humanismus basiert, ist zu kurz gekommen. Deshalb erleben wir in Ostdeutschland Entsolidarisierung mit Schwächeren, Gewaltzonen, in denen Jugendliche Menschen anderer Hautfarbe verprügeln. Da fehlt ein Stück zivilgesellschaftlicher Tradition. Es hat auch in Westdeutschland lange gedauert, bis sich diese herausbildete, und sie ist auch dort noch nicht überall stark genug. Das ist eine deutsch-deutsche Problematik, kein ostdeutsches Problem allein.

Sollten verbal zündelnde Politiker nicht zur Verantwortung gezogen werden? Ich denke an Suggestionen wie »Das Boot ist voll« oder Verleumdungen wie »Asyltouristen«. Wie groß ist das Versagen, die Schuld der Politik am Erstarken von Rechtspopulismus, Extremismus?

Von Versagen oder Schuld möchte ich nicht sprechen. Es ist jedoch zu beobachten, dass selbst die großen Parteien nicht in der Lage sind, Realitäten anzuerkennen, etwa die Tatsache, dass die Bundesrepublik schon lange ein Einwanderungsland ist. Wenn man die Probleme nicht benennt, kann man sie auch nicht lösen. Und dadurch wird ein Thema kampagnenfähig, vor allem wo es ein Vakuum gibt. Wenn Politiker von »Leitkultur«, »Heimat« oder »konservativer Revolution« reden, müssen sie auch wissen, dass man gewissen Gedanken Vorschub leistet. Vor allem Polarisierungen ad hominem, menschenverachtende Argumentationen wie »Anti-Abschiebeindustrie« etc. Wer mit solchen Unworten hantiert, braucht sich nicht über die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas zu wundern.

Was sagen Sie zur stetig wiederkehrenden, leidlichen »Leitkultur«?

Ich halte nichts von kulturellen Satzungen oder gar einer Abstammungs- oder Schicksalsgemeinschaft, nichts von der Idee einer homogenen Nation. Da sind wir lange drüber hinweg. Wir haben das Grundgesetz. Das ist eine gute Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Es ist eine Art »Leitzivilität«, wie sie sich die Schriftstellerin Thea Dorn wünscht. Aber natürlich sollten Einwanderer unsere Vorstellung von einem demokratischen Zusammenleben kennen, um es mit uns gemeinsam zu gestalten.

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Deutsche Vornamen sind heute Ahmed und Fatima, zu des Deutschen Lieblingsspeisen gehören Kebab und Curry.

Aber es dauerte eine Weile, bis es einen schwarzen »Tatort«-Kommissar und eine »Tagesschau«-Moderatorin mit Migrationshintergrund gab. Der bunten Gesellschaft verdanken wir eine reiche Literatur, verdanken wir beispielsweise Feridun Zaimoglu.

Was wir am Beispiel Deutschlands besprachen, ist ein europäisches Phänomen. Die Vernetzung der Rechten ist engmaschig in Europa.

Absolut. Deshalb ist der transnationale Blick wichtig. Interessanterweise hat das Chaos um den Brexit dazu geführt, dass sich die Menschen wieder auf die europäische Idee besinnen. Die Zustimmung zu Europa war in den Niederlanden in den letzten zehn Jahren nicht so hoch wie jetzt: 72 Prozent. Wir können also darauf vertrauen, dass sich am Ende das Vernünftige durchsetzt - wenn wir wehrhaft bleiben.

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