»Die Zeit verwundet alles ...

Kathrin Gerlof ist begeistert vom großen Plan der FDP, alle Menschen glücklich zu machen

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

… was heil ist.« Leider geklaut, vom Meister des Horrors, Stephen King, der gut beraten wäre, seine Romane nicht mehr in den Kleinstädten des US-Bundesstaats Maine spielen zu lassen, sich stattdessen mal in den immer noch neuen Bundesländern der großen BRD umzuschauen, ob sich da nicht ein netter Plot finden lässt. Vergessen wir das, nach den Wahlen ist vor den Wahlen und es bleibt noch ausreichend Zeit, den Hintern hochzukriegen oder eine neue Mauer zu bauen. Offensichtlich haben 30 Jahre nicht gereicht, alles so schön zu machen, dass die Leute auch zufrieden sind. Bei Stephen King laufen sie dann mit einem geladenen Gewehr durchs Dorf, hierzulande machen sie ein Kreuz an der beschissensten Stelle des Wahlzettels.

Manchmal schaut man in die Drucksachen des Deutschen Bundestages und hat für anderthalb Sekunden das Gefühl: Jetzt, aber jetzt geht es wirklich voran. Jetzt passiert etwas. Jetzt haben die es begriffen. Tatsache ist jedoch: Es liegt nur an den Überschriften. Die Überschriften mancher Anträge und parlamentarischen Initiativen lesen sich wie Disneyworld, komprimiert in einem schwarzen Loch. Also zum Beispiel dieser Antrag der Freien Demokraten (das sind so Leute wie Christian Lindner, Matthias Seestern-Pauly, Nicole Westig, Sandra Weeser, Dr. Jens Brandenburg und Mario Brandenburg): »›Wohlstand für alle‹ auch im 21. Jahrhundert«.

Das ist jetzt nicht aus der Luft gegriffen, so heißt der Antrag wirklich (Drucksache 19/9923). Und stimmte der Bundestag dieser Initiative zu, wer weiß, ob sich dann nicht alle schwer auf uns lastenden Probleme in Luft auflösten. Erst einmal müssen die Ausschüsse darüber beraten, ob es machbar ist, Wohlstand für alle herbeizuzaubern. Und vielleicht wird der eine und die andere sich dabei die Frage stellen, ob mit »alle« wirklich auch die eigene Großmutter und den nervigen Nachbarn in der Kleingartenanlage gemeint oder ob Ausnahmen zugelassen sind.

Die FDP konstatiert im Vorwort ihres Antrags: »Das digitale Zeitalter stellt Deutschland und Europa vor große Herausforderungen.« Das hat sie möglicherweise von Angela Merkel geklaut. Und sagt, nun endlich müsse Deutschland beweisen, dass Demokratie und soziale Marktwirtschaft auch im Zeitalter der Globalisierung allen Menschen Wohlstand garantieren können. Also allen nicht - im globalen Süden wird das nicht funktionieren. Und auf dem Berliner Alexanderplatz, wo Leute sitzen und sich ihren Wohlstand erbetteln, auch nicht. Möglicherweise ließe sich auch der nervige Nachbar aussparen.

Die FDP will ja auch gar nicht, dass es der ganzen Welt besser geht, denn die deutsche (!) Volkswirtschaft droht nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Zu hohe Steuern und Abgaben, zu wenig Zukunftsinvestitionen (Was wäre eigentlich eine Vergangenheitsinvestition?), China am Start, die USA immer noch wettbewerbsfähig - alles nicht gut für Deutschland. Was nun? Was tun?

Erstens: Mehr Beteiligung privaten Kapitals beim Aufbau der Infrastruktur und der 5G-Mobilfunktechnik »unter Berücksichtigung physikalischer Gegebenheiten«. Das mit der Physik klingt irgendwie schick, muss man jetzt aber auch nicht überbewerten. Zweitens: mehr Investitionen, weniger konsumtive Ausgaben, Steuern und Abgaben senken, Grundsteuer bürokratiearm reformieren. Das ist gar nicht doof, aber nur, wenn mit weniger konsumtiv auch wirklich weniger Konsum gemeint wäre. Drittens: Solidaritätszuschlag streichen, mehr Künstliche Intelligenz (aus Mangel an menschlicher scheint das ein gangbarer Weg). Drittens: Position der Stärke gegenüber den USA und China, eine europäische China-Strategie vorantreiben. So, das ist es im Wesentlichen schon. Klingt irgendwie einfach, wenn man sich mal vergegenwärtigt, dass es hier um Wohlstand für alle gehen soll.

Die FDP hat sich damit ins Buch der Superlative gearbeitet. Wer traut sich sonst noch, alle beglücken zu wollen und dafür auch noch einen Plan zu haben? Keiner, oder?

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