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Die Tränen des Auslaufmodells

Wolffs Müllabfuhr beschäftigt sich diese Woche der Sylt-Ausgabe des »ZEITmagazins«

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Journalismus ist dazu da, ein Umfeld für Anzeigen zu schaffen. Weil er das in gedruckter Form kaum mehr schafft, stirbt er dort einen langsamen Tod. Am nicht siechenden Leben ist nur noch, wer ein konservativ lesewilliges und kaufkräftiges - um eines der ekligsten Wörter der Marktzurichtung des Sozialen zu nutzen - Publikum zu binden weiß. Besonders erfolgreich darin ist die »Zeit«.

Denn sie schreckt auch nicht davor zurück, ihr ohnehin für Mode-, Uhren- und sonst wie Produkte produziertes Magazin noch mal in regionaler Variante für kleinere Kunden bereitzustellen. »Seit 2016 erscheinen Stadtausgaben des ›ZEITmagazins‹, zuerst in Hamburg, dann in München, seit vergangenem Jahr auch in Frankfurt, und jetzt sind wir reif für die Insel. Für die Insel«, berichtet stolz das Editorial des »ZEITmagazin Sylt«. Anfangs lachten sie, aber: »Eigentlich eine gute Idee«, denn »nach Sylt kommen Menschen von überall in Deutschland«. Und was diese eint, kann man dem Inhaltsverzeichnis entnehmen: »Ein Champagnerkühler und weitere Entdeckungen für Sylt«, »Warum lieben alle den Sylt-Autoaufkleber?«, »Ohne eine Strandtasche sollte niemand die Ferienwohnung verlassen« und ein Lebenslauf, der aufs »Zeit«-Publikum so unwiderstehlich wirken muss wie schiefe Metaphern auf Josef Joffe: »Gia Paula war als Lehrerin unglücklich, heute lebt sie vom Schreiben ihrer Inselkrimis.«

Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/muellabfuhr

Das ganze Elend einer solchen Publikation bringt aber der Mann, der wie kaum ein zweiter Wörterelend produzieren kann, auf so etwas wie einen Punkt. »Auf Sylt bin ich etliche Male gewesen, einmal sogar zu einer Dichterlesung in Kampen, der Dichter war ich.« Harald Martenstein, damit beauftragt, Sylt-Urlaubern Kaviar um den Bart zu schmieren, kann nicht anders, als über den vergangenen Glanz des Journalismus zu salbadern. Er berichtet von seiner »Stern«-Kollegin Meike Winnemuth, die sich nach ihrer »Dichterlesung« über weiß gekleidete Berufssöhne lustig machte, die beim Pinkeln in die Hecke sich Sätze wie: »Ja, die habe ich auch schon gebumst« zurufen.

Das kann Martenstein nicht gutheißen - also, wenn eine Frau so etwas aufschreibt. Denn es ist »ein ritueller Vatermord, eine Abrechnung mit dem hedonistischen Lebensstil erfolgreicher männlicher Chefs von früher«, weil: »Ausgerechnet auf Sylt hat Henri Nannen, so die Legende, seinen ›Stern‹ erfunden. Auch Axel Springer residierte auf der Insel. Früher ist Sylt die deutsche Journalisteninsel gewesen. Rudolf Augstein liegt sogar in Keitum begraben, in Keitum ruht quasi der ›Spiegel‹, obwohl er unter gleichem Namen von irgendwelchen Weicheiern weitergeführt zu werden scheint.« Man könnte die »Weicheier« für Ironie halten, aber es ist das Augenzwinkern, das die Alte-Mann-Träne wegdrücken soll: »Möge den Helden aus dieser Gründergeneration ihr letzter Chivas Regal in der Pony-Bar gemundet haben! Dicke Autos fuhren die aber auch, soweit ich weiß. Weiße Kleidung, Jaguar Sovereigns oder rote Hosen waren ihnen jederzeit zuzutrauen, und sogar jene umstrittene Tätigkeit, die auf Sylt immer noch mit ›b‹ anfängt, scheint ihnen geläufig gewesen zu sein. Solche Journalisten werden heute nicht mehr hergestellt.«

Nein, werden sie nicht mehr, heute müssen Heldenhengste darben und in Anzeigenmagazinchen nostalgiewichsen. »Wenn du heute als Journalist Jaguar fahren willst, musst du als Kandidat zu ›Wer wird Millionär?‹. Winnemuth fuhr, als sie in Kampen war, einen alten Lupo, ich habe einen Dacia - muss man deutlicher werden?« Wahrlich nicht - aber man kann ihm dankbar sein, dass er einem im großen Trauerspiel Printsterben kleine Momente der Freude gewährt. Und sei es nur die darüber, dass Martenstein seine Träume nicht leben kann.

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