Moral setzt die Deckung…

Kathrin Gerlof über die prekäre Idee der «Arbeit auf Abruf», der die FDP einen roten Teppich ausrollt

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 4 Min.

… der wichtigsten Lebensbedürfnisse voraus.« Der Publizist Dietmar Dath mit einer schönen Übersetzung des Aussagesatzes, dass zuerst das Fressen und dann die Moral käme. »Denn wovon lebt der Mensch?«, hat schon Brecht in der Dreigroschenoper gefragt. Wir wissen es bis heute nicht genau, außer, dass Luft und Liebe nicht reichen.

Was wir aber wissen ist, dass wir im Sommer gern in Biergärten gehen. Sehr gern sogar. Deshalb ist es schön zu wissen, dass die FDP dafür kämpft, die Biergartenkultur zu erhalten. Denn wenn wir überhaupt über eine Kultur verfügen, dann ist das auch den Biergärten zu verdanken. Wäre das damals bei der Leitkulturdebatte beachtet worden, hätte es gar nicht so viel Trouble gegeben.

Die FDP möchte, dass für Gastronomen und Beschäftigte die »Arbeit auf Abruf« erleichtert wird. Was ist denn Arbeit auf Abruf, fragt sich manche oder mancher und hat vielleicht erst vor Kurzem auf mydog365.de gelesen: So rufst du deinen Hund sicher ab - Schritt für Schritt erklärt. »Der Abruf deines Hundes ist wohl der wichtigste Befehl, den du ihm beibringen kannst. Es kann jedoch auch einer der am schwierigsten zu lehrenden Befehle sein.«

Das kann die FDP jedoch nicht gemeint haben, wenn sie uns im Vorwort ihres Antrages erzählt, dass Biergärten und alle im Freien betriebenen Gaststätten in den Sommermonaten eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllen. Und dass diese Kultur aufgrund starrer Vorschriften bei den Teilzeit- und Befristungsregelungen dazu führen, dass die vereinbarte Arbeitszeit nicht allzu sehr überschritten werden darf, was wiederum überhaupt mit den Minijob-Regelungen zu tun hat und der Frage, ab wann ein Minijob kein Minijob mehr ist. Alles sehr kompliziert, wohl wahr. (Übrigens haben wir Arbeit auf Abruf der Schröder-Regierung zu verdanken, die 2001 eine entsprechende Regelung durchsetzte. Also einen Freibrief ausstellte, Menschen hin- und herschieben zu können.)

Wahr ist auch, was jetzt aber nicht Thema des FDP-Antrages ist, dass in vielen Unternehmen Lohndrückerei zur Tagesordnung gehört. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erzählt, dass 2017 mindestens 1,3 Millionen Beschäftigte, denen der Mindestlohn zugestanden hätte, in ihrer Haupttätigkeit weniger bekommen haben. Konservativ geschätzt, wie er unterstrich. Das DIW stellt fest, die Gefahr, prekär bezahlt zu werden (wobei auch der Mindestlohn von aktuell 9,19 Euro eine ziemlich prekäre Angelegenheit ist, aber das sehen die in dem Institut sicher anders), in Bars, Restaurants und Hotels besonders hoch sei.

Gehören Biergärten dazu oder sind die was ganz Eigenes, weil eben Kultur? Also direkter gefragt: Könnte es möglich sein, dass solche Lohndrückerei auch in unserer Kneipenkultur stattfindet, die im Sommer zu Höchstformen aufläuft, wenn es heißt (draußen isst und trinkt es sich nun mal am besten)? Kaum zu glauben. Ebenso wenig, dass diese Unart, Leute so mies zu bezahlen, dass sie sich nicht mal mehr Moral leisten können, im Reinigungsgewerbe und im Einzelhandel ebenfalls Fuß gefasst haben soll. Sagt das DIW. Wobei wir uns wieder etwas beruhigen können, weil die Hauptleidtragenden Frauen, Zuwanderer und junge Beschäftigte sind. Alles zu vernachlässigende Zielgruppen.

Die Zahl der Menschen, denen der ihnen zustehende Mindestlohn nicht gezahlt wird, steigt. Und das, obwohl Ausnahmeregelungen, von denen die FDP nun aber wieder welche haben möchte für unsere Biergärten, weggefallen sind. Die damit verbundenen Verbesserungen für die Arbeitenden werden jedoch oft nicht weitergegeben. Und das DIW sagt, Beschwerden seitens der Arbeitenden seien selten zu hören, weil die Angst hätten, den Job zu verlieren. Das wiederum legt nahe, dass es gar nichts ändert - weder im Guten, noch im Schlechten -, wenn wir die Möglichkeiten der »Arbeit auf Abruf« erweitern. Es wird so oder so prekär bleiben für die Beschäftigten.

Jetzt haben wir uns aber schön im Kreis gedreht. Prost.

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