Pedro Sánchez blinkt vage nach links

Der sozialdemokratische Ministerpräsident geht kurz vor der Abstimmung im Parlament auf Podemos zu

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein Versuch kurz vor Toreschluss: Nach fast drei Monaten, in denen der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez gegenüber den Vorstellungen der linken Formation Unidas Podemos (UP) Veto nach Veto eingelegt hatte, hat er in seiner Bewerbungsrede im Madrider Parlament am Montag einige Gesten in Richtung UP gezeigt. Man müsse »ein Abkommen« auf Basis dessen erreichen, »was uns vereint«. Er will nun schnell ein Abkommen festzurren, wenn möglich, bevor am Dienstag erstmals abgestimmt wird. Eines ist schon sicher: Podemos-Chef Pablo Iglesias wird nicht in die Regierung eintreten. Er trat vergangenen Freitag nach einem Sánchez-Veto zur Seite, um einer Regierungsbildung nicht im Weg zu stehen. Das tat er, obwohl die Podemos-Basis in einer Onlineabstimmung mit 70 Prozent eine Koalitionsregierung gefordert und sich zudem gegen jegliche Vorbedingung von Sánchez ausgesprochen hatte.

Bevor Sánchez am Mittag mit seiner Rede begann, war aus Verhandlungskreisen zu vernehmen, dass die Positionen weit auseinanderliegen. Die geschäftsführende Vize-Ministerpräsidentin Carmen Calvo von der sozialdemokratischen PSOE traf erneut mit dem Podemos-Verhandlungsführer Pablo Echenique zusammen, während Sánchez seine Rede hielt. Auffällig war, dass Sánchez von den UP-Bänken keinen Applaus erhielt, auch wenn er viele schöne Worte von einem »progressiven, pro-europäischen, ökologischen und feministischen« Spanien angestimmt hatte.

Mit besonders ernster Miene verfolgte der Podemos-Chef Iglesias die Rede. Aus dessen Umfeld war zu hören, dass die PSOE außer schönen Tönen in den Gesprächen der vergangenen 48 Stunden keinen Schritt vorwärts gemacht und nur »symbolische Verantwortungen« angeboten habe. UP fordert, die Ministerämter entsprechend des politischen Gewichts beider Parteien zu verteilen.

Sánchez ließ im Parlament große Töne anklingen. Mit Blick auf den Übergang von der Diktatur zur Demokratie ab Mitte der 1970er Jahre schlug er eine »große zweite Transformation« vor, die nun stattzufinden habe. Und er sprach davon, wegen der ausufernden befristeten Beschäftigung müssten nun »Festverträge« zum Normalzustand werden und es solle »qualitativ hochwertige Beschäftigung« geschaffen werden. Natürlich will er auch die Renten sichern oder gegen den Klimawandel vorgehen und auch Diktator Franco soll - erneut - aus seinem Grab im Mausoleum exhumiert werden. Doch stets ist das Wie das Problem. Die umgehende Franco-Exhumierung hatte er schon vor einem Jahr angekündigt, als er über ein konstruktives Misstrauensvotum an die Regierung kam. Umsetzen konnte er es nicht.

Dass aus dem »Tal der Gefallenen« ein Gedenkort für die Opfer des Franquismus werden sollte, hat Sánchez längst beerdigt. Erneut versprach der Sozialdemokrat, das Maulkorbgesetz zu streichen, mit dem sein rechter Vorgänger Mariano Rajoy die Meinungsfreiheit eingeschränkt hatte. Doch viele fragen sich, warum das nicht längst geschehen ist. Eigentlich sollte auch die aggressive Arbeitsmarktderegulierung der konservativen Vorgänger längst gestrichen sein, die für die zunehmend prekären Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich ist. Aber auch das ist kein Ziel der PSOE mehr, die nun nur noch die »schädlichsten Teile« streichen wollen.

Alberto Garzón, der Partner von Iglesias und Chef der Vereinten Linken (IU) erklärte nach der zweistündigen Rede, dass Sánchez seine Aussagen »bewusst vage« gehalten hat.

Sánchez Unkonkretheit hat seinen Grund. Er hält sich so die Tür zu den national-neoliberalen Ciudadanos (Cs) offen, falls er auch im zweiten Wahlgang am Donnerstag scheitern sollte. Er kann dann weitere zwei Monate versuchen, eine Regierung zu bilden. Sánchez’ Problem ist, dass auch eine Koalition mit UP für eine Mehrheit im Parlament von Stimmen katalanischer Unabhängigkeitsparteien abhängig wäre, sollte er nicht alle sonstigen regionalen Parteien hinter sich versammeln können. Diese Abhängigkeit gab es bereits im vergangenen Parlament. Da er dort gegenüber den Katalanen keine Zugeständnisse machen wollte, fiel im Frühjahr sein Haushalt durch und er suchte mit Neuwahlen die Flucht nach vorne.

Die Rechnung ging für Sánchez bei den Wahlen Ende April im Großen und Ganzen auf. Die PSOE legte gegenüber UP zu und hätte mit den Cs sogar eine stabile Mehrheit. Doch Cs-Parteichef Albert Rivera hält bisher, auch gegen massive interne Kritik, am Nein zu Sánchez fest. Er hat einen strammen Rechtskurs eingeschlagen und verhandelt und paktiert sogar offen mit der rechtsextremen VOX zur Bildung von Regionalregierungen.

Nach dieser Rede ist klar, dass Sánchez am Dienstag keine Mehrheit bekommt. Sie war nicht geeignet, Stimmen von Basken und Katalanen auf seine Seite zu ziehen. Ob sie sich im zweiten Wahlgang am Donnerstag enthalten, wenn Sánchez nur mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen braucht, um erneut zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden, ist unklar. Ein Ja ist praktisch ausgeschlossen, da er keine Gesten gegenüber den Katalanen gezeigt hat. Der Sprecher der Republikanischen Linken (ERC) hält es für »verantwortungslos und fahrlässig«, den Konflikt mit Katalonien nicht einmal erwähnt zu haben.

Der Katalonien-Konflikt wurde daran deutlich, dass vier Sitze im Saal leer blieben, da die gewählten katalanischen Vertreter ausgeschlossen sind. Dass Sánchez weiter Verhandlungen mit den katalanischen Parteien verweigert, ist kaum dazu geeignet, sie durch Enthaltung zu seiner erneuten Duldung zu bewegen. In der Unabhängigkeitsbewegung machen Zivilgesellschaft und Parteien starken Druck auf die ERC, Sánchez auch am Donnerstag mit Nein durchfallen zu lassen.

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