Verbote für die Zukunft

Deutschland hinkt beim Klimaschutz gewaltig hinterher - Zeit umfassende Maßnahmen zu ergreifen

  • Nico Beckert
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit den Fridays-for-Future-Protesten nimmt der Klimawandel viel Raum in der öffentlichen Debatte in Deutschland ein. Ob in Talkshows, Kommentarspalten oder in sozialen Medien: Deutschland streitet darüber, mit welchen Maßnahmen das Klima gerettet werden könne. Drei Strategien werden mehr oder weniger heiß diskutiert: Eine »Lenkung« der Wirtschaft über eine CO2-Steuer, ein Emissionshandel, über den der freie Markt zum effizientesten Ergebnis führen soll, und schließlich Verbote bestimmter Produkte oder Dienstleistungen.

Verbote werden in den meisten Diskussionen scharf kritisiert. Unternehmer*innen und Kommentator*innen schmähen Klimaverbote als »Ökosozialismus«. Und FDP-Chef Christian Lindner mutmaßt – in schlechtester FOX-News-Manier –, die Grünen wollten ihm das Schnitzel verbieten. Doch sobald sich der von den Verbotsgegnern aufgewirbelte Staub legt, wird klar: Die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft ist auch eine Geschichte der Verbote. Kinderarbeit, Sklaverei und Schuldknechtschaft – das Verbot dieser Praktiken wurde nicht durch moralische Appelle an das individuelle Handeln und auch nicht durch die »unsichtbare Hand« des Marktes erreicht. Heute hält diese Verbote fast jeder Mensch für vernünftig. Sie gelten als so selbstverständlich, dass kaum noch darüber nachgedacht wird, dass es Verbote sind.

Im Bereich des Klima- und Umweltschutzes gehen andere Staaten mit Verboten voran. Zahlreiche Industrie- und Schwellenländer verbieten bis 2030 die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor. Darunter Norwegen (2025), China (2030) und Indien (2030). Deutschland hinkt hier gewaltig hinterher.

Klimaverbote werden in Deutschland gern mit dem Verweis auf die Freiheit gekontert. Doch was für eine Freiheit darf das sein angesichts schmelzender Gletscher und Rekordhitze? Im Grundgesetz steht: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.« Gleiches muss mit Blick auf die Freiheit beim Klimaschutz gelten: Es gibt kein Recht auf den täglichen Fleischkonsum, auf zahlreiche Flugreisen oder den zwei Tonnen schweren SUV, wenn dadurch die Freiheit und das Überleben von Klimaverlierern im Globalen Süden verletzt wird. Denn während in Deutschland neue Hitzerekorde bei 40 Grad erreicht sind, müssen Menschen in Indien oder Iran bei über 50 Grad (über-)leben.

Die Freiheit, die bei Klimaverboten in Deutschland gern hochgehalten wird, ist die Freiheit des Sklavenhalters. Sie genossen einst die Freiheit, andere Menschen zu unterdrücken. Heute würde kein Mensch diese Art von Freiheit verteidigen, da sie die Freiheit anderer Menschen massiv einschränkt.

Die CO2-Steuer wird – so sie denn hoch genug ist – einige Dinge mittelfristig aus dem Leben vieler Menschen verdrängen. Sie wirkt – folgt man der Argumentation Lindners und Co. – ähnlich Freiheit einschränkend wie Verbote. Inlandsflüge verursachen so viel CO2, dass sie mit einer entsprechenden Steuer teurer werden als das Bahnfahren. Auch Lindners Schnitzel könnte – rechnet man das bei der Herstellung entstandene Klimagas Methan in den Preis ein – so teuer werden, dass sich Geringverdiener nicht mehr täglich Fleischprodukte leisten können.

Die Politiker*innen sollten sich durch das Freiheitsargument, das »Sozialismus«-Geheul und den Spott von anderen Parteien (»Verbotspartei«) nicht von vornherein in ihrer Suche nach Lösungen für die Klimakrise einschränken lassen. Verbote können als »Deckel« dienen, wie beim Verbot des Verbrennungsmotors einen Zeithorizont setzen, ab dem gewisse Produkte oder Dienstleistungen nicht mehr zugelassen werden. Das kann neben einer CO2-Steuer zu zusätzlichem Druck führen, klimaschädliche Produkte vom Markt zu nehmen und nachhaltigere Alternativen zu entwickeln.

Doch die Debatte um Verbote darf sich nicht nur auf Produkte und Dienstleistungen beschränken. Sie muss ebenso staatliche Subventionen in den Blick nehmen. Über das Dienstwagenprivileg, die Förderung der industriellen Landwirtschaft, die Mehrwertsteuerbefreiung für Kerosin und zahlreiche andere Subventionen fördern die G20-Staaten klimaschädliche Wirtschaftsstrukturen mit 147 Milliarden US-Dollar (2016), wie eine Studie der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch aufzeigt. Die Klimadebatte muss deswegen die Frage stellen, warum diese Subventionen noch nicht verboten sind bzw. warum kein Enddatum beschlossen wird.

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