Macron lädt in die Festung Biarritz

Beim G7-Gipfel muss der französische Präsident brisante Themen moderieren

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Gastgeber Emmanuel Macron baut vor: Die traditionelle Bedeutung des G7-Abschlusskommuniqués soll in Biarritz heruntergefahren werden. Der Hintergrund: Vor Jahresfrist hatte hatte US-Präsident Donald Trump für einen Eklat gesorgt, indem er der Abschlusserklärung des G7-Gipfels in Kanada wegen eines handelspolitischen Streits mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau die Unterstützung verweigerte.

Offiziell steht 2019 vor allem der »Kampf gegen Ungerechtigkeiten« auf der Tagesordnung. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der turnusmäßig das diesjährige Treffen in dem mondänen südwestfranzösischen Küstenort ausrichtet und leitet, hat dafür außer den G7-Staaten, die allein schon gut 40 Prozent der globalen Wirtschaftskraft repräsentieren, auch weitere Länder sowie internationale Organisationen eingeladen, um dieses Thema angemessen zu behandeln. Dabei soll es beispielsweise um die Gleichstellung von Mann und Frau, um den uneingeschränkten Zugang zu Bildung und Gesundheit gehen. Auch wie der ökologische Wandel durch nachhaltigere Handels-, Steuer- und Entwicklungspolitik besser und gerechter gestaltet werden kann, wird Thema sein. Auch die Bekämpfung von Sicherheitsbedrohungen und Terrorismus steht ebenso auf Macrons Agenda wie die ethische Nutzung von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.

Die »Todsünden« der G7

Berlin. Die Politik der G7-Staaten verschärft weltweit die soziale Ungleichheit. Dies ist das Ergebnis einer Studie mit dem Titel »The G7’s Deadly Sins«, die die Entwicklungsorganisation Oxfam am Donnerstag anlässlich des Biarritz-Gipfels vorgelegt hat. Darin heißt es, die Ankündigung von Frankreichs Präsident Emanuel Macron, den Kampf gegen soziale Ungleichheit zur Priorität der Veranstaltung zu machen, drohe ein Lippenbekenntnis zu bleiben, wenn die G7-Staaten ihre aktuelle Politik fortsetzten.

Die Ungleichheit sei »außer Kontrolle«. Am krassesten in den USA: Hier besäßen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 76 Prozent des Vermögens, die ärmsten 50 Prozent hingegen nur ein Prozent des Reichtums. Am besten stehe in der G7 noch Japan mit Quoten von 49 Prozent und zehn Prozent da.

Oxfam kritisiert, dass ungerechte Steuersysteme und schädliche Steuerpraktiken Unternehmen und reichen Einzelpersonen zu drastischen Gewinnen verhelfen, während gerade Entwicklungsländern aber wichtige Steuereinnahmen vorenthalten werden. Dadurch fehle vielerorts die Möglichkeit, in öffentliche Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie soziale Sicherung zu investieren. Dies wäre aber dringend nötig, um Armut und Ungleichheit zu verringern und die Geschlechtergerechtigkeit zu stärken.

Die Autoren fordern deshalb ein gerechtes Steuersystem, mehr Investitionen in öffentliche Bildung und Gesundheit sowie die Entwicklungshilfe sowie deutlich mehr Anstrengungen gegen den Klimawandel – der treffe die Ärmsten besonders hart. Kurt Stenger

Insgesamt weilen 24 Delegationen mit zusammen 5000 Teilnehmern am Konferenzort. Neben den G7-Staaten sind da zunächst vier »große Demokratien mit starkem regionalen Einfluss«: Südafrika, Australien, Chile und Indien. Um die Partnerschaft mit Afrika zu erneuern und gemeinsam neue Ziele für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung abzustecken, wurden vier Länder des Kontinents eingeladen, die gegenwärtig der Afrikanischen Union oder anderen regionalen Bündnissen vorstehen: Burkina Faso, Ägypten, Senegal und Ruanda. Außerdem sind Abordnungen von zahlreichen Frauen-, Jugend-, Wissenschaftler- und Umweltverbänden geladen.

Auf einige Begegnungen auf dem Gipfel darf man besonders gespannt sein. So ist es das erste Mal seit Donald Trumps Twitter-Kommentar über Emmanuel Macrons »schwachsinnige Idee« einer Besteuerung der US-amerikanischen GAFA-Konzerne Google, Apple, Facebook und Amazon, dass die beiden Präsidenten und angeblichen Freunde wieder einmal persönlich aufeinandertreffen. Dabei ist das Thema einer angemessenen Besteuerung der Internet-Aktivitäten überall da, wo diese Konzerne Umsatz machen und nicht nur in ausgewählten Billig-Steuer-Ländern, nach wie vor hochaktuell. Darin waren sich die Finanzminister der G7-Länder - und damit auch US-Minister Steven Mnuchin - auf ihrem Vorbereitungstreffen Mitte Juli in Chantilly bei Paris einig. Dabei wurde das Ziel abgesteckt, dafür bis Ende nächsten Jahres über den eigenen Rahmen hinaus auch die Länder des G20-Gipfels zu gewinnen.

Für die Einwohner und Touristen in Biarritz herrscht durch die Sicherheitsmaßnahmen eine Art Ausnahmezustand. Das gesamte Zentrum der Stadt wurde zur Sicherheitszone erklärt, in der sich nur bewegen darf, wer sich durch eine Kennkarte als ständiger oder zeitweiliger Anwohner ausweisen kann. Noch schärfer sind die Bestimmungen in der Hochsicherheitszone entlang der Strandpromenade mit dem luxuriösen »Hotel du Palais«, in dem die Staats- und Regierungschefs tagen und logieren. Von vielen Einwohnern und Touristen wird kritisiert, dass ein sicherheitsrelevantes Großereignis wie der G7-Gipfel in einem viel besuchten Seebad wie Biarritz ausgerechnet im Hochsaison-Monat August veranstaltet wird. 15 000 Angehörige der Sicherheitskräfte, vorwiegend Gendarmen, wurden in Biarritz zusammengezogen.

Um Kritiker auf Distanz zu halten, wurde ihnen für einen Gegengipfel das 30 Kilometer entfernte Hendaye an der spanischen Grenze zugewiesen. Dort veranstalten rund 80 Organisationen mehr als 100 Veranstaltungen über Neoliberalismus, Armutsgefälle oder Klimawandel. Zum Abschluss ist eine »Aktion Regenbogen« mit Demonstrationen an sieben Punkten im Halbkreis um Biarritz, aber außerhalb der Sicherheitszone, geplant. Sie ist zwar nicht genehmigt, soll aber friedlich verlaufen, versichern die Veranstalter des Gegengipfels.

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