Routinejobs in der Erdumlaufbahn

Europäische Raumfahrtagentur suchte Astronauten, doch zum Mond oder Mars kommen sie nicht

  • Jacqueline Myrrhe
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir wollen erstklassige Frauen und Männer in Europa finden, mit denen wir die Herausforderungen des Einsatzes auf der Internationalen Raumstation ISS und der bemannten Exploration unseres Sonnensystems im 21. Jahrhundert meistern können.« Mit diesen großen Worten hat der Chef des Europäischen Astronautenzentrums, der ehemalige Astronaut Michel Tognini, die gerade stattfindende Rekrutierung von Astronauten für die Europäische Raumfahrtorganisation ESA angekündigt. Am 18. Juni um Mitternacht war Bewerbungsschluss für die vier Stellen als ESA-Astronaut. Im Vorfeld rechnete man mit mehr als 60 000 Bewerbungen. Am Ende waren es jedoch nur 5000.

Auf den ersten Blick mag die Astronautenauswahl als eine Chance für die besten Talente Europas erscheinen, doch bei genauerem Hinsehen kann man schon fast Mitleid mit den Bewerbern haben, die hoffnungsvoll ihre Papiere zusammengetragen haben.

Die bemannte Raumfahrt ist kein Pflichtprogramm innerhalb der ESA. Das bedeutet, dass die 17 Mitgliedsländer frei entscheiden können, ob sie bei der bemannten Raumfahrt dabei sein möchten oder nicht. Gegenwärtig sind die größten Beitragszahler im ISS-Programm Deutschland, Frankreich, Italien. Finnland, Irland, Großbritannien, Portugal, Österreich, Luxemburg und Griechenland halten sich ganz raus. Einem zukünftigen Astronauten darf man wohl empfehlen, einen deutschen, französischen oder italienischen Pass zu haben. Denn es ist nicht anzunehmen, dass die drei Großen für ein Astronautencorps, bestehend beispielsweise aus Iren, Griechen, Portugiesen und Finnen, bezahlen werden.

Auf der ESA-Website kann der Astronauten-Aspirant jedoch lesen: »Nein, es gibt keine Quote für Astronauten. Es werden Anstrengungen unternommen, um langfristig sicherzustellen, dass ein ESA-Astronautencorps aus Astronauten aus allen ESA-Mitgliedsländern besteht.« Langfristig vielleicht …

Schon allein die Frage, ob auch Frauen rekrutiert würden, ist trotz politisch korrekter Antwort auf der Website recht heikel. Noch ist die Erinnerung an die Belgierin Marianne Merchez wach, die Mitte der 90er Jahre in der zweiten ESA-Auswahlgruppe als Quotenfrau trainierte, dann aber überraschend ohne einen Flug ausschied. Die einzige ESA-Frau, die es bislang neben 16 ESA-Männern in den Kosmos schaffte, ist die Französin Claudie Haigneré – mit nachdrücklicher Unterstützung ihrer nationalen Raumfahrtagentur, der CNES.

ESA-Chefastronaut Tognini sah die Hauptaufgabe der neuen Astronauten darin, »die Herausforderungen des Einsatzes auf der Internationalen Raumstation ISS und der bemannten Exploration unseres Sonnensystems im 21. Jahrhundert« zu meistern. Dazu fehlen der ESA mehr als nur neue Astronauten. Ein eigenes Transportmittel zur Station etwa. Gegenwärtig werden ESA-Astronauten im US-amerikanischen Space Shuttle oder in den russischen Sojus-Kapseln mit zur ISS genommen. Das Space Shuttle wird ab 2010 nicht mehr fliegen. Damit wird es für die Jungastronauten um einen Sitz in einem der vier Sojus-Raumschiffe pro Jahr zur ISS gehen. Bei drei Sitzen pro Flug sind das insgesamt zwölf Fluggelegenheiten. Den Löwenanteil davon beanspruchen die USA und Russland, tragen diese beiden Nationen doch den Löwenanteil an Aufbau, Unterhalt und Betrieb der Raumstation. Und dann sind da auch noch die Kanadier, die Japaner und die gut zahlenden Weltraumtouristen. Realistisch ist da höchstens eine Fahrkarte für die Westeuropäer pro Jahr. Bei solch einem Raumflug handelt es sich dann zwangsläufig um eine Langzeitmission von sechs Monaten Dauer. Das ist Knochenarbeit im Erdorbit – von romantischen Explorationsvisionen bleibt da nichts.

Ein Flug zum Mond ist für die vier Auszuwählenden sehr unwahrscheinlich, ein Flug zum Mars praktisch ausgeschlossen. Solange sich die Bewerber darüber im Klaren sind, kann der Beruf des ESA-Astronauten ja noch immer ein Traumjob sein.

Genauso vollmundig wie der ESA-Astronautenchef haben sich schon einige bekennende ESA-Astronautenbewerber in den Medien präsentiert. So etwa eine junge englische Astrophysikerin vor den laufenden Kameras des Morgenprogramms der BBC: »Ich könnte die erste Frau auf dem Mond werden, ich könnte die erste Britin auf dem Mond werden und ich könnte der erste Mensch auf dem Mond werden!« Nach einer Schrecksekunde machte der Reporter darauf aufmerksam, dass es schon im Jahre 1969 den ersten Menschen auf dem Mond gab. Das junge hoffnungsvolle Talent lächelt optimistisch zurück und sagt: »Ach ja, der erste Mensch auf dem Mond kann ich nicht mehr werden. Das war jetzt ein Fehler.« Doch wie sagte schon Gene Kranz, Leiter des Kontrollzentrums während der Apollo-13-Mission, als es darum ging, die drei Astronauten lebend nach Hause zu bringen: »Failure is not an option!« (Versagen ist keine Option!)

Im Internet: www.esa.int/astronautselection

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