Hilfe für Gaza an Hamas vorbei?

Norman Paech, Abgeordneter der LINKEN, besuchte den Gaza-Streifen / Der Hamburger Jurist (Jahrgang 1938) ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht und außenpolitischer Sprecher der LINKEN

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Hilfe für Gaza an Hamas vorbei?

ND: Herr Prof. Paech, Sie sind Anfang der Woche von einem Aufenthalt im Gaza-Streifen zurückgekehrt. Kann man als ausländischer Politiker einfach dorthinfahren?
Paech: Nein, das ist sehr schwierig. Es ist beileibe nicht allen möglich, weil Israel nach wie vor eine Blockade des Gaza-Streifens praktiziert. Dieses war eine europäische Parlamentarierdelegation unter Leitung der Vizepräsidentin des Europaparlaments.

Über das Ausmaß der Zerstörungen im Gaza-Streifen ist viel geschrieben und gesendet worden. Gab es trotzdem für Sie Schockierendes, Unerwartetes?
Schockierend war für mich, real vor Augen zu haben, dass das nicht ein Krieg gegen Hamas und auch nicht gegen die Raketen schießenden Gruppierungen war, sondern offensichtlich ein Krieg gegen die Bevölkerung. Was wir an Zerstörung von Häusern, Fabriken, zivilen Einrichtungen, Moscheen und Krankenhäusern gesehen haben, das sagt ganz eindeutig: Hier ist die Zivilbevölkerung Ziel des Krieges gewesen.

Die Geberkonferenz, die am Montag in Ägypten tagte, hat Hilfen in Höhe von fast 4,5 Milliarden Dollar zugesagt. Halten Sie das für zufriedenstellend?
Zunächst ist es notwendig, Gaza wieder aufzubauen, ganz eindeutig. Nur, dieses ist im Grunde die Legitimierung des Krieges, dass man eine Arbeitsteilung vorschlägt: Ihr zerstört, wir bauen auf. Denn in keinem Statement ist am Montag die Verantwortung Israels für diese Zerstörungen und damit auch seine Verantwortung zur Wiedergutmachung irgendwie erwähnt worden. Hier werden die europäischen und internationalen Steuerzahler zur Kasse gebeten, um die Zerstörungen Israels wieder gutzumachen. Das ist der falsche Ansatz. Das ist das erste.

Das zweite: Die Tatsache, dass man nach wie vor diese Gelder irgendwie an Hamas vorbei im Gaza-Streifen anlegen will, ist eine vollkommene Verkennung der tatsächlichen Umstände. Hamas hat durch den Krieg weiter an Zustimmung und Unterstützung gewonnen. Hamas ist ein politischer Faktor, den man nicht umgehen kann. Wenn man jetzt versucht, alles an die Palästinensische Autonomiebehörde zu geben, unterminiert man den Prozess der Annäherung, der gerade in Kairo zwischen Hamas und Fatah aufgenommen worden ist.

Was erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Bundesregierung, aber auch in Bezug auf die Haltung Deutschlands gegenüber den Palästinensern?
Eine grundsätzliche Veränderung der Politik. Nicht, dass man immer zahlt, wenn Israel zerstört, sondern dass man verhindert, dass Israel zerstört. Und dass man auf jeden Fall Druck auf Israel ausübt, beim Grundübel des Gesamtkonflikts ansetzt: die Besetzung zu beenden. Es wird keinen Frieden geben, wenn nicht die Besetzung des Westjordanlands wie die faktische Besetzung Gazas beseitigt wird.

Noch eine Frage zu einem damit zusammenhängenden Thema. Der Duisburger Oberbürgermeisterkandidat der LINKEN hat seine Kandidatur wegen Antisemitismusvorwürfen zurückgezogen. Was ist Ihre Meinung dazu?
Soweit ich gehört habe, hat er einen Boykott israelischer Waren gefordert. Ich habe von meinen Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament sehr oft gehört, dass sie gesagt haben: Wenn man Israel nicht zur Einhaltung des Völkerrechts bringen kann, dann muss es Sanktionen geben, genauso wie es sie gegen Südafrika gegeben hat. Das hat mit Antisemitismus überhaupt nichts zu tun.

Fragen: Roland Etzel

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal