Kaum Wasser, kaum Essen und täglich Tote

Veröffentlichung über die jüdischen Frauen und Kinder im KZ Ravensbrück

Schätzungsweise 15 Prozent der Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück waren Juden. Die Errichtung des Lagers begann vor 70 Jahren. Daran erinnerte die Mahn- und Gedenkstätte am Wochenende. Während es sich zunächst in einem Zeitraum von anderthalb Jahren bei nur zwei Prozent der Ankömmlinge um Juden handelte, stieg dieser Anteil in den letzten vier Monaten vor der Befreiung auf 25 Prozent. Dies schreibt Judith Buber Agassi in der Aufsatzsammlung »Jüdische Frauen und Kinder im Konzentrationslager Ravensbrück«.

Weil die Rote Armee näher rückte, räumte die SS im Sommer 1944 die Vernichtungslager in Polen und trieb die Häftlinge im Winter nach Deutschland. Tausende Frauen aus Auschwitz und Majdanek erreichten völlig entkräftet Ravensbrück, wo bis zu 3000 von ihnen in ein eigens errichtetes Zelt gepfercht wurden, weil die Baracken längst überfüllt waren. Die Menschen in dem Zelt erhielten kaum Essen und Wasser und keine medizinische Versorgung. »Jeden Tag kam ein Kommando und holte die Leichen aus dem Zelt heraus«, sagte die Französin Vaillant-Couturier 1946 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess aus. Im Oktober 1944 befahl Heinrich Himmler dem Lagerkommandanten Fritz Suhren, 12 000 kranke und erschöpfte Häftlinge zu töten. Der ließ daraufhin ab Anfang 1945 eine Doppelgaskammer bauen.

Die Aufsätze stammen aus der Feder von neun deutschen und israelischen Wissenschaftlerinnen. Sie analysieren zum Beispiel einen Bericht der Wienerin Marianne Wachstein. Die psychisch kranke Frau wurde zweimal nach Ravensbrück gebracht und dort gequält, bevor die Faschisten sie im Februar 1942 hinrichteten. Der Bericht gehört zu den seltenen authentischen Zeugnissen der Behandlung der Jüdinnen in den Anfangsjahren des Konzentrationslagers. Denn die SS tötete alle jüdischen Häftlinge dieser Zeit. Deshalb müssen sich die Forscher zumeist auf die Erinnerungen deutscher Kommunistinnen stützen. Die jüdischen Überlebenden sind vor allem jene, die erst 1944/45 nach Ravensbrück gebracht worden sind.

Etliche gelangten dann ins Außenlager Malchow. Die Insassen mussten zwölf Stunden täglich in einer nahen Munitionsfabrik schuften – Sprengstoff abwiegen, in Geschosse füllen und die Erzeugnisse verpacken. Im Vergleich zu den Vernichtungslagern schien Malchow zunächst ein besserer Ort zu sein. Doch bald entwickelte sich Malchow zu einem Sterbelager, in das Häftlinge aus Ravensbrück abgeschoben wurden, für die es in dem Rüstungsbetrieb nichts zu tun gab. Sie vegetierten und verhungerten.

Wenigstens befanden sich unter den zirka 8000 Frauen, die das Schwedische Rote Kreuz aus Ravensbrück rettete, mindestens 1000 Jüdinnen. Bei der Befreiung mit den Weißen Bussen, die dem Grafen Folke Bernadotte zugeschrieben wird, spielten auch die Juden Gilel Storch und Norbert Masur aus Stockholm eine Rolle. Storch verhandelte mit Himmlers Masseur Felix Kersten, Masur traf sich mit Himmler persönlich, um die Freilassung jüdischer Häftlinge zu erreichen. Die Nazis erhofften für sich eine milde Behandlung nach dem absehbaren Kriegsende. Doch während manche Häftlinge in die Busse steigen durften, ging das Morden weiter.

Irith Dublon-Knebel (Hrsg.): »Jüdische Frauen und Kinder im Konzentrationslager Ravensbrück«, 303 Seiten (brosch.), 19 Euro, ND-Buchbestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77

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