Halme im Glas

Hundert beste Plakate in Berlin

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Halme im Glas

Gestalten kann heutzutage jeder. In einer visuell geprägten Gesellschaft ist man zum Gestalten der eigenen Erscheinung, der Wohnung, des Lebenslaufs geradezu gezwungen. Doch ob diese Gestaltung auch höheren qualitativen Kriterien genügt, ist zweifelhaft.

Die Initiatoren des Wettbewerbs »100 beste Plakate« fechten seit Jahren einen aufrechten Kampf um die Wahrung gestalterischen Könnens aus. Sie geben Werken, die über den Einzugsbereich der auftraggebenden Instanzen Theater, Konzerthäuser und Universitäten hinaus kaum beachtet werden, eine neue zentrale Plattform. Seit drei Jahren befindet sich diese im Foyer der Kunstbibliothek im Kulturareal hinter dem Potsdamer Platz in Berlin.

In diesem Jahr taten sich die meist betagteren Verfechter der Kunstform Plakat mit jüngeren Aktivisten zusammen. Studenten der Fachhochschule Potsdam haben nicht nur das Ausstellungskonzept entworfen, sondern die gesamte Exposition sogar mitten ins städtische Treiben transportiert: Im Foyer der Kunstbibliothek ruhen die an Tragestöcken befestigten Plakate in extra dafür konstruierten Ständern – doch am Eröffnungstag schnappten sich die Studenten die Bildtafeln und bildeten einen Demonstrationszug hin zum Potsdamer Platz: »Wir wollen die Bevölkerung sensibilisieren, auf das Kulturgut Plakat hinweisen«.

Etwas marktschreierisch als »Demonstration gegen visuelle Stadtverschmutzung« war die Aktion angepriesen. Gerichtet war sie gegen schreiende Werbekampagnen à la »Geiz ist geil«, für mehr Poesie und Ästhetik im Stadtraum.

Zurückgekehrt in den Ausstellungsraum, erweist sich als visuell am wirksamsten aber ausgerechnet eine von der Heye Group für McDonald's entworfene Kampagne. Gleichermaßen geheimnisvoll wie verödet wirkende nächtliche Transiträume mit einem Hinweisschild für Essen oder eine überdimensionierte Salat-Box machen nicht unbedingt Hunger auf Burger. Aber sie ziehen magisch das Auge an und bieten ihm sowohl Reize als auch Erholung.

Optisch und erzählerisch ebenbürtig sind allenfalls die Miniatur-Abbildungen von Katastrophenszenen, die Lorenz Klingebiel und Oliver Dignal im Rahmen der Serie »Size Matters« für die Hochschule für Gestaltung Offenbach entwarfen. Auf Neo-Romantik setzt hingegen eine mit Elementen aus der exotischen Wildnis versehene Bilderserie für den BMX-Radhersteller UMF (Büro Dorten Bauer) – wärend das Atelier Poisson verspielten Neo-Barock benutzt, um auf ein Performance-Festival in Lausanne hinzuweisen.

Die beeindruckendste Arbeit liefert Benjamin Scheurer. Für die Plakatserie »Wasserpolitik« hat er in ein halbvoll mit Wasser gefülltes Glas ein Bündel Strohhalme gesteckt, von denen jedoch nur ein geringer Teil das Nass berührt. Die Bildunterschrift »800 Millionen Menschen weltweit haben keinen Zugang zu Trinkwasser« erläutert die dramatische Situation.

Es fällt die Renaissance der Schrift auf. Die jahrelang die Preisträgerszene bestimmenden Fotoplakate haben zugunsten sorgsam gestalteter Schriftplakate das Feld geräumt. Doch leider ist die Schrift oft zu verspielt angeordnet und erschwert so das schnelle Erfassen der Information. Als klassischer und klarer erweisen sich da viele der am Rande aufgehängten 40 Plakate aus 40 Jahren DDR. Eine sehenswerte Nebenausstellung.

Beide Ausstellungen sind bis 19. Juli in Berlin zu sehen. Dann folgen Essen, Dornbirn in Österreich, Luzern und Wien.
100 beste Plakate, Kulturforum Potsdamer Platz, Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 22 Uhr, Sa und So 11 – 18 Uhr

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