Stunde der Demagogen

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Gestern hatten sie wieder Großeinsatz – die Rabulisten, Wortverdreher und Tatsachenvergewaltiger der Bundesregierung mit Spezialisierung Afghanistan. Ihr gestriger Tatort hieß Bundespressekonferenz. Objekt war ein Massaker aus der Luft – verübt an einem Freitag, dem muslimischen Wochenfeiertag, im heiligen Fastenmonat Ramadan. Dieses galt es, seines mörderischen Inhalts zu entkleiden, in zivilgraue Worthülsen zu verpacken und dann dem offenbar für minderbemittelt gehaltenen Wahlbürger als Friedenstherapie mit ungewollten Nebenwirkungen zu verabreichen. So etwas klappte vor Jahren noch ganz leidlich. Unter dem Schock bis dato beispielloser, aber bis heute kaum aufgeklärter Attentate und vernebelt von den Staubwolken eingestürzter Zwillingstürme, wurde seit Jahrtausendbeginn so ziemlich jede Metzelei von ihren Verursachern als Krieg gegen den Terror und folglich eigentlich Friedens»kampf« verkauft; ob in Irak, Tschetschenien oder eben Afghanistan. Damals in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ganz erfolglos.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Weil Krieg am Ende eben doch Krieg bleibt; mit Tod und Zerstörung, auch wenn man ihn noch so hartnäckig zum »robusten Stabilisierungseinsatz mit Kampfhandlungen« verquast, wie das gestern ein Berliner Ministeriumssprecher unternahm. Die Gräber sind damit nicht wegzuquatschen; nicht die der Menschen und auch nicht die der Milliarden. Das mag Jung und Steinmeier aufgegangen sein, die sich früher so gern vor Kameras über die »feigen und hinterhältigen« Taliban empörten. Zwar haben jene sich auch diesmal nicht den NATO-Friedensschützern in offener Luftschlacht gestellt. Dennoch hielt es zum Beispiel Jung wenige Tage vor der Wahl offenbar für ratsam, eine untere Charge seines Ministeriums erklären zu lassen, dass die toten Afghanen »fast alle gegnerische Kräfte, zumindest Beteiligte« gewesen seien. Und wenn vielleicht doch ein paar Zivilisten darunter waren, dann bedauert man das natürlich ...

Bei derlei Erklärungen zweifelt man, ob ihre Urheber sich überhaupt noch daran erinnern, wer hier mit welcher Begründung in wessen Land eingefallen ist. Man fragt sich, in welchem Handbuch für »Stabilisierungshelfer« sie gelesen haben, dass entführte Autos mit Kampfgeschwadern aus der Luft zu bombardieren sind; mit welcher Berechtigung und welcher Maßgabe die friedlichen deutschen Helfer Afghanen in »feindliche Kräfte«, »Beteiligte« und »Zivilisten« einteilen und danach deren Berechtigung zum Weiterleben kalkulieren.

Die deutschen Helden der ersten Reihe sind etwas kleinlaut geworden. Im Moment. Sind sie vielleicht gewahr geworden, dass ihre Sprache und noch mehr die Verlautbarungen ihrer Subalternen immer stärker den Ton von Frontberichterstattung annehmen? Die Hoffnung ist wohl zu vermessen, denn es wäre immerhin eine Einsicht, die die Umkehr zu Vernunft und damit Ausstieg aus dem Krieg nicht ausschlösse. Darauf deutet aber nichts hin. Die deutschen Unterstützerparteien für den Afghanistan-Einsatz, also CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne, glauben, darauf vertrauen zu können, dass der deutsche Michel zwar seiner Verteidigung am Hindukusch misstrauisch gegenübersteht, aber sie dennoch wählt. Aber das kann sich ja auch mal ändern.

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