Bodenständig und weltläufig

Begegnungen von vier Altmeistern aus der Kunstlandschaft Brandenburg in Cottbus

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Seit 1980 ist der Bildhauer Werner Stötzer im Oderbruch ansässig. Sein nur wenig älterer Kollege Wieland Förster hat in der Nähe von Oranienburg ein Refugium gefunden. Und in den 1990er Jahren sind auch Bernhard Heisig von Leipzig ins Havelland und Harald Metzkes von Berlin ins brandenburgische Umland umgezogen. Zeitlebens haben diese Altmeister auf ihr Recht auf subjektive Erfahrung und auf den schöpferischen Freiraum für sich und ihre Kunst bestanden. Der Mensch ist das Thema, das die beiden Bildhauer und die beiden Maler mit aller Leidenschaftlichkeit durchlebten – der Mensch und die Landschaft, das Reflektieren über die Geschichte und die menschliche Existenz. Zu viert sind sie so noch nie ausgestellt worden wie jetzt in dem seit gut einem Jahr eingerichteten Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus. Wie von selbst eröffnen sich Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Skulptur und Malerei wie auch zwischen Themen, Formen und Gestaltungsweisen, die zum sinnenden Betrachten anregen.

»Liegende Werra«, »Die Oder«, »Flußstein«, »Sitzende«, »Torso«, »Für Bobrowski« – die Skulpturen von Werner Stötzer erscheinen in großer Ruhe und zeitloser Dauer, im lastenden Gewicht des Materials und zugleich in schwebender, flüchtiger Leichtigkeit. Ein Gebirge, eine Felsmelodie von menschlicher Figur. Der Bildhauer verwendet die Steine so, wie sie aus dem Bruch kommen, spürt den Flächen nach, lässt Ecken, Kanten, Schnitte stehen. Dann wieder bricht er den Stein auf, zerstört das Vorgegebene. Denn »Zerstören ist am Stein nicht vernichten, in dieser Art zerstören liegt neu finden, abschlagen bedeutet Schichten zu erleben, Sprünge zu sehen und Grabungen zu folgen«.

»Märkisches Tor« (2006-2008, Sandstein) – zwei sich gegenüberstehende überlebensgroße blockhafte Stelen (das Figürliche ist nur angedeutet), sie halten mit erhobenem Arm Ausschau übers Land, Standfestigkeit und Blickweite andeutend. »Die Oder« (2005-2008, Kalkstein), eine liegende Figur mit aufgestütztem Arm und angezogenem Bein, ist gleichsam zur schwimmenden Menschenbank geworden. Sie robbt dahin wie die Welle über Katarakte. Die Natur, das Archaische, das Abstrahierend-Prozesshafte interessiert Stötzer in gleicher Weise. Er bleibt sinnenhaft in der Abstraktion auch dort, wo die Figur zum Sinnbild von Natur wird. Seine Figuren sind unpathetisch, keine Gebärde geht ins Aus. Sie stehen gelassen gegen die Betriebsamkeit unserer Zeit.

Wieland Förster kommt es dagegen auf eine radikal körperliche Formgebung an. Der menschliche Körper ist vitalisiert, artikuliert sich durch und durch zu einem Erregungsträger. Erregung ist für Förster Bewegung, Drehung, Krümmung, Zusammenballung oder Streckung, Wendung, Taumel, Ineinanderstürzen aufgerissener, torsierter Leiber – drohend deutlich, schmerzhaft genau. Seine Geschlagenen und Geschundenen, seine Erniedrigten und Beleidigten, seine Gekreuzigten, aber auch seine Figuren aus der Mythologie, der durch die Überdrehung des Leibes an den Füßen wie aufgehängte, gehäutete »Marsyas – Jahrhundertbilanz« (1999, Bronze), und seine Triumphierenden sind in jeder Fiber ihres Wesens Menschen unserer Tage, und sie sind Zeugnisse einer legitimen Weise moderner Bildhauerei, die so authentisch, so von heute ist wie jeder andere echte Avantgardismus auch. Dann wieder weibliche Akte von atmendem Rhythmus und tänzerischer Beschwingtheit – eine Hoffnung aufs Überleben. Wenn ein Bildhauer derart Ernst macht mit den Beziehungen, und das Gleichgewicht immer betont, indem er es stört, dann ist es auch völlig gleichgültig ob er figurativ oder nonfigurativ arbeitet.

In den Bildern von Harald Metzkes tobt sich die Narrheit des Menschengeschlechts aus. Das Prosaische dieser Gestalten mit ihren Mützen, Masken und geschminkten Gesichtern, in ihren bunten Kostümen, mit ihren erstarrten Gesten wie ekstatischen Haltungen – all das verleiht der Szene trotz ihres transparenten Lichts ein Gefühl der Fremdheit, des Bedrohlichen, eine surreale Atmosphäre. Was ist noch Realität, was ist Kulisse, wie lassen sich Schauspieler und real handelnde Personen unterscheiden, wo hört das heitere Verwirrspiel auf und schlägt es um in grimmigen Spaß und bitterbösen Ernst? Die Bilder konfrontieren uns mit den sich in rasender Geschwindigkeit verändernden Zeitverhältnissen. Zwar wurden für die Ausstellung auch Arbeiten wie »In der Komischen Oper«, »Rügenküste«, »Hof hinter Bäumen«, »Frühstück zu dritt«, »Drei Personen, ein Stillleben« favorisiert, aber die komplexe Überlagerung von Themen, die psychologisch und symbolisch vielfältigen Deutungen offenstehen, taucht auch hier die Szene ins Geheimnisvolle und verleiht ihr ihre poetische Dimension. Die zarten bräunlichen, bläulichen und Ocker-Töne, durch Weiß, Grün, Rot, Orange akzentuiert, ergeben ein fast musikalisches Zusammenspiel. Metzkes lädt seine Motive mit Assoziationen und Anklängen auf, benutzt manche als feststehende Hieroglyphen, andere sind vollgültige Personen in seinem privaten Welt-Theater.

Bernhard Heisigs Bilder sind zum Zerreißen gespannt. Sie sind in aufsteigender Erinnerung Realität und Traum – meist Albtraum – in einem: ineinander verschachtelt, wie Kulissenräume zusammen- und wieder auseinandergeschoben. Sie treten in neue Verbindungen und Kontroversen, fügen sich zu wildbewegten Panoramen, tumultuarischen Labyrinthen, verwandeln sich in ein Spiegelkabinett mit wechselnden Durchblicken und Synthesen, rasen in schwindelerregender Karussellfahrt durch die Zeiten, heben sich ins Sinnbildhafte, Metaphorische, Universale. In seinem politischen Welttheater beschwört Heisig die Traumata seines Jahrhunderts in figurenreichen Zeitallegorien. Er könne »keine stillen Bilder malen«, hat er bekannt, selbst der »Havelangler« (2000) oder die »Storchennester im Havelland« (2005) sind alles andere als beschauliche Idyllen.

Vier große Künstler von internationaler Relevanz legen Zeugnis ab vom Menschen, von seiner Würde und Selbstbestimmung. Warum sie nicht in die auf die Kunst der Bundesrepublik zurückblickende Ausstellung »Sechzig Jahre. Sechzig Werke« aufgenommen worden sind, mag verstehen, wer das verstehen will. Aber diejenigen, die sie dort vermisst haben, finden nun in Cottbus ein reiches Terrain.

Förster, Heisig, Metzkes, Stötzer im Land Brandenburg. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, bis 4. Oktober. Katalog.

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