Karadzic boykottiert »unfairen« Prozess

Gerichtssprecherin: Vertagung nicht geplant

  • Lesedauer: 2 Min.

Den Haag (dpa/ND). Der wegen Völkermords angeklagte ehemalige Präsident der Serbischen Republik (Republika Srpska) in Bosnien, Radovan Karadzic, will seinen seinen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) boykottieren. Das Verfahren gegen ihn sei unfair. Er werde zur Prozesseröffnung am kommenden Montag nicht vor den Richtern erscheinen, erklärte Karadzic in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief an den Gerichtshof in Den Haag.

Als wichtigsten Grund für seinen Boykott gibt der 64-Jährige an, ihm sei nicht genügend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung eingeräumt worden. Die Staatsanwaltschaft habe ihn »begraben unter einer Million Seiten« von Dokumenten, »nur um dann relevantes Material erst viele Monate nach meiner Verhaftung herauszugeben«. In dem Schreiben wirft Karadzic dem Tribunal überdies indirekt vor, ein Instrument »der Feinde Serbiens und der NATO« zu sein.

Gerichtssprecherin Nerma Jelacic erklärte auf Anfrage, es gebe ungeachtet der Boykottankündigung »derzeit keinerlei Anzeichen für eine Vertagung« des Prozesses. »Die Kontrolle über das Verfahren liegt einzig und allein bei den Richtern.« Zum Inhalt des Briefes wollte die Sprecherin nicht Stellung nehmen.

In dem polemisierenden Schreiben vergleicht Karadzic sein Verfahren wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges 1992-1995 mit dem von den Nationalsozialisten inszenierten Prozess um den Reichstagsbrand im Jahr 1933. Damals habe der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff wider Erwarten seinen Freispruch erwirkt. »Sollte ich Dimitroff um die fairen Bedingungen und den fairen Prozess beneiden?«, heißt es in Karadzics Brief.

In juristischen Kreisen in Den Haag hieß es, der Prozess könne auch ohne Karadzics eröffnet werden. Zudem könne der Angeklagte jederzeit auf Anweisung der Richter gezwungen werden, vor dem Gericht zu erscheinen, wenn dies als nötig erachtet wird.

Karadzic sitzt im UN-Gefängnis im Haager Stadtteil Scheveningen in Untersuchungshaft. Er verteidigt sich auf eigenen Wunsch selbst. Beraten wird er allerdings von einem professionellen Team unter Leitung des kalifornischen Anwalts Peter Robinson. Ein Antrag Karadzics auf mehrmonatige Verschiebung des Prozesses war Anfang Oktober von der Berufungskammer des Gerichtshofs abgelehnt worden. Die Richter erklärten, der Angeklagte habe nach seiner Verhaftung im Juli vergangenen Jahres genügend Zeit gehabt, die Vorwürfe zu studieren.

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