Ackern für das Soziale

Senatorin Carola Bluhm (LINKE) über Probleme, Projekte und praktische Folgen von Politik

  • Lesedauer: 6 Min.
Carola Bluhm (LINKE)
Carola Bluhm (LINKE)

ND: 100 Tage Schonfrist stehen auch Ihnen als neuer Senatorin zu?
Bluhm: Die sind im Januar vorbei. Ich denke, wir werden bis dahin schon eine ganz gute Bilanz vorweisen können.

Also sind Sie Senatorin geworden und waren gleich mittendrin im Arbeitsleben?
Das liegt in der Natur der Sache – an der Problemdichte der Stadt, am Zustand der Koalition, an vielen Baustellen. Es ist schon eine große Anforderung an alle Beteiligten, auch bei einem personellen Wechsel übergangslos entscheidungsfähig und gut aufgestellt zu sein.

Sie sprachen vom Zustand der Koalition. Wie ist denn der?
Den Problemen angemessen.

Die Opposition meint, da knirscht und knackt es...
Das hat mich auch als Fraktionschefin immer begleitet, und man legt sich einige Gelassenheit zu. Konflikte soll man nicht verstecken. Die Probleme in der Stadt sind so groß, dass Streiten ein ganz normales Bewegungsprinzip ist. So gesehen ist der Zustand der Koalition normal.

Der Haushalt ist durch. Ist alles drin, was Sie gewollt haben?
Wir haben es geschafft, unsere Schwerpunkte zu setzen. Die faulen Politiker, wenn ich das hier mal unterbringen darf, haben vom Morgen bis Mitternacht 15 Stunden ununterbrochen den Etat beraten. Gefühlt hatten sie ihn vorher schon 500 Stunden diskutiert in den Fachausschüssen, im Hauptausschuss, bei ersten, zweiten und dritten Lesungen. Das war eine höchst intensive Auseinandersetzung um jeden Euro. Es ist uns dabei auch gelungen, den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor als Schwerpunkt zu setzen.

Danach sah es nicht immer aus.
Ich konnte nachweisen, dass 279 Euro pro Betroffenen im Monat zusätzlich für eine sinnvolle Arbeit überaus gerechtfertigt sind. 7500 Langzeitarbeitslose haben so inzwischen eine Perspektive. Auch dank mancher Kritik haben wir für unsere Projekte großes öffentliches Interesse gefunden. Wir haben die soziale Infrastruktur abgesichert, wir stehen für Toleranz und Vielfalt, für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe. Wo das Miteinander nicht funktioniert, weil es Rechtsextremismus, Rassismus, Diskriminierung, Homophobie gibt, gehen wir ohne Tabus vor. Ich glaube, keine andere Stadt verfügt über ein so umfassendes Konzept gegen Diskriminierung wie wir.

Wo sich der Bund aus der Verantwortung zurückzieht, wie etwa beim Kampf gegen Rechtsextremismus, gleichen wir mit Landesmitteln aus. Es gibt eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit und die Länder haben nur begrenzten Handlungsspielraum. Der reicht nicht zur Lösung der Probleme Arbeitslosigkeit, Armut, Chancenungleichheit von Migrantinnen und Migranten. Er reicht auch nicht für Kinder, die in Haushalten mit wenig oder sehr wenig Geld aufwachsen. Das wissen wir.

Um Arbeit dreht sich im Ressort alles, also auch um Lehrstellen?
Das Ressort heißt Integration, Arbeit, Soziales. Diesen Berliner Zuschnitt halte ich für vorbildlich. Berufliche Bildung gehört elementar dazu. Die Bildungspolitik von der kostenfreien Kita mit Sprachförderung über unsere Gemeinschaftsschulen können wir fortsetzen bis zur Begleitung der jungen Leute zum für sie richtigen Ausbildungsplatz.

Die Wirtschaft klagt bereits, dass sie Lehrstellen kaum noch besetzen kann.
Die Demografie kommt uns entgegen, die Unternehmen müssen Auszubildende werben. Unsere Kampagne »Berlin braucht dich« bringt es wirklich auf den Punkt. Wir haben immer darüber geredet, wie motiviere ich jemanden, dem ich kein konkretes Angebot machen kann? Nun haben wir eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen werden. Es öffnen sich viele neue Türen.

Im öffentlichen Dienst gibt es fast 1000 Ausbildungsplätze, so viel wie lange nicht mehr. Die öffentlichen Unternehmen haben jetzt erklärt, dass sie bis 2013 jeden vierten Ausbildungsplatz an einen Jugendlichen mit Migrationshintergrund vergeben. Wir müssen es schaffen, interkulturelle Kompetenz in die öffentlichen Unternehmen hineinzutragen. Da können dann auch 40 oder 50 Prozent der Auszubildenden in einer Gruppe einen Migrationshintergrund haben. Wir wollen den jungen Menschen beim Weg aus der Schule in die Ausbildung und ins Studium helfen.

Arbeitslosigkeit bleibt aber ein Thema. Es gibt Jobcenter, und es gibt sie in der alten Form bald wieder nicht. Erst wollte sie keiner so recht, jetzt will man nicht von ihnen lassen.
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal so engagiert für den Erhalt der Jobcenter kämpfen würde. Die LINKE hat Hartz IV immer abgelehnt, sich gegen Repressionen, Ein-Euro-Jobs und die Zuweisung unterqualifizierter Jobs gewehrt. Aber die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe fanden wir immer richtig. Es ist unfassbar, dass die neue Bundesregierung meint, wir könnten die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes nur umsetzen, indem wir die Hilfesysteme auseinanderreißen.

Was wären die praktischen Folgen?
Mindestens zwei Bescheide in einem Umschlag. Das ist bei knapp 600 000 Betroffenen eine unglaubliche Anforderung an Doppelstrukturen, an mehr Bürokratie, an Bürgerunfreundlichkeit. Die Beschäftigte der Bundesagentur steht auf dem Flur, hat die Bedarfsprüfung gemacht und soll sich dann mit den Betroffenen auf die andere Seite begeben, damit dort die Kosten der Unterkunft berechnet werden.

Man macht doch eine Reform, wenn man meint, das Ergebnis ist besser für alle Betroffenen. Hier wird das Gegenteil erreicht. Wie bei bestimmten Punkten der Gesundheitsreform wird es so kompliziert, dass es niemand mehr versteht. Dabei sind die Probleme schon jetzt riesengroß. Diese neue Struktur wird uns hunderte Stunden Arbeit kosten, und gerade in der Krise müssten wir bei den Unternehmen und bei den Arbeitslosen sein. Für uns ist insgesamt sehr wichtig, dass wir als Land einen Einfluss auf die Arbeitsmarktpolitik bekommen.

Hat das Land denn den Berliner Leuten von Quelle nach der Pleite helfen können?
Der Mutterkonzern hat sich um sein Weihnachtsgeschäft gekümmert, aber für die Beschäftigten sehr, sehr wenig getan. Berlin war das fünfte Rad am Wagen, wir haben kaum Informationen bekommen. Wir haben es aber geschafft, uns in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsverwaltung und der Regionaldirektion direkt zu kümmern. Die Arbeitsagentur war sehr schnell vor Ort.

Nach dem letzten Stand sind 65 neue Arbeitsverträge schon unterschrieben, Beschäftigte können sich zusätzlich qualifizieren oder gleich zu einem neuen Unternehmen wechseln. Wir konnten helfen und hoffen, dass die Arbeitslosigkeit nicht steigt – obwohl hier ein Unternehmen seine soziale Verantwortung nicht wahrgenommen hat.

Wenn es schiefgeht, müssen Sie als Sozialsenatorin als letzte Instanz eingreifen. Genug Geld ist da?
Genug Geld ist nie da, wie in jedem Haushalt. Wir vergessen keine Sekunde, dass die neue Bundesregierung weiter Steuern senken und uns das Geld nehmen will, das wir in der Stadt dringend brauchen. Das Geld, das wir haben, müssen wir – wie es bei der Umweltpolitik heißt – nachhaltig einsetzen. Arbeit wird hier in diesem Haus deshalb groß geschrieben. Ackern für das Soziale ist bei uns das interne Bewegungsprinzip von morgens bis spät in den Abend.

Die Diplomsoziologin wechselte aus dem Amt der Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Abgeordnetenhaus am 15. Oktober 2009 in den Senat. Hier übernahm sie die Ressorts Integration, Arbeit und Soziales.

Interview: Klaus J. Herrmann

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