Neues Image von Londonderry

Seit dem Friedensabkommen 1998 setzt Irland auf seine Sehenswürdigkeiten

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Sichtbares Zeichen der Veränderung in Londonderry an der Hauswand
Sichtbares Zeichen der Veränderung in Londonderry an der Hauswand

Langsam zischt in der »Monico Lounge« das dunkle Guinness aus dem Zapfhahn ins Bierglas. Die Lounge ist ein typisches irisches Pup in Londonderry, hier sitzen die Männer und reden von Pferdewetten und vom Wetter, während die Touristen das typische Stew – den Kartoffeleintopf mit Lamm – auslöffeln. Es fehlt noch ein bisschen irische Musik und das Feuer im Kamin, dann wäre für Karen das Bild langsam komplett.

Karen ist die Marketing Managerin der nordirischen Stadt mit rund 80 000 Einwohnern. Mit ihren Kollegen webt sie an einem neuen Image: Londonderry, das ist die alte Stadt mit der sehr gut erhaltenen Stadtmauer aus dem 17. Jahrhundert am Foyle-Fluss. Mit der prächtigen Fassade der neugotischen Guildhall und dem Tower-Museum, in dem ausführlich die Geschichte der Stadt erzählt wird: Von den frühen Anfängen über die Belagerung von 1688 bis hin zur jüngeren Gegenwart. Dort angekommen weiß man, warum in den vergangenen Jahren viele Anstrengungen unternommen worden sind, ein moderne Stadt zu zeigen, in die es sich zu Reisen wieder lohnt.

Von der alten Stadtmauer aus, die heute als Flaniermeile dient, ist diese jüngere Vergangenheit zu sehen. Unten, am Fuße des grünen Burghügels liegen die Häuser der Bogside und noch immer kündet von dort eine große Schrift: »You are now entering free Derry« (Sie betreten jetzt das freie Derry), wie die Katholiken die Stadt nennen. Hier wohnen die katholischen Einwohner der Stadt und große Wandgemälde erzählen von den Ereignissen, die hier vor rund 40 Jahren geschehen sind. Die Märsche der Bürgerrechtsbewegung 1967, die Straßenschlachten mit der Polizei 1968, die Toten des »Blutigen Sonntags« im Januar 1972, als die britische Armee 14 Teilnehmer einer Demonstration erschoss. Eines der Wandgemälde zeigt ein Mädchen: Annette Mac Gavigan. Die 14-jährige Schülerin war im September 1971 von der Armee erschossen worden, das 100. Todesopfer der »Troubles«, wie die zwei Jahrzehnte andauernden bürgerkriegsähnlichen Unruhen zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen der IRA und der britischen Armee dort genannt werden.

Heute gibt es keine Barrikaden mehr, heute werden die Fenster geputzt und in den Hinterhöfen der langgezogenen Reihen von kleinen Häusern aus rotem Backstein stehen bunte Kindertretroller herum. Die Vorgärten sind gepflegt und die Fassaden erneuert. In der Glenfada-Park-Straße sind die Ereignisse von damals eingehegt im »Museum of Free Derry«, hier sind Plakate, Transparente, Fotos und mehr zu sehen. Die Protestanten wohnen heute mehrheitlich auf der anderen Flussseite, ihre Viertel sind noch immer an der britischen Flagge zu erkennen. Doch seit 1998 ist in Nordirland ein Friedensabkommen in Kraft, es ist die Basis für die Konstruktion eines neuen Londonderry/Derry.

Wie die irische Insel insgesamt hat Nordirland in den vergangenen Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen können, nahe Londonderry/Derry hat sich zum Beispiel der Festplattenhersteller Seagate angesiedelt und bietet 1500 Arbeitsplätze. Die jungen Computerspezialisten sind auch die Leute, die Restaurants wie das »Mange 2« unten am Flussufer besuchen. Hier wird französisch angehauchte Küche auf hohem Niveau in modern-sachlichen Ambiente serviert, Lichtjahre vom ehemaligen (schlechten) Ruf der irisch-englischen Küche entfernt.

Inmitten der Altstadt wurde ein Handwerkerhof eingerichtet, der Souvenirs für die Touristen bereithält, jenseits der Stadtmauern wuchsen moderne Einkaufzentren und ein Veranstaltungszentrum, das »Millennium Forum« empor.

Doch die Stadt sieht sich auch als Ausgangspunkt für die Touristenattraktionen an der Nordküste. »Giant’s Causway« zum Beispiel. Der »Riesenweg« ist Nordirlands berühmteste Sehenswürdigkeit und besteht aus erkalteten Lavasteinen mit geometrischen Formen. Die Steine sind fünf oder sechseckig und zu Türmchen aufgestapelt, hinter denen die Gischt der Brandung emporschäumt. Das Naturwunder liegt an der Nordküste rund 50 Kilometer von Londonderry/Derry entfernt.

Diese Küste hat noch mehr zu bieten: Die Burgruine Dunluce, nicht weit vom Giant’s Causeway entfernt. Ihre Mauern stehen am Rande einer steilen Felsküste. Der Sage nach soll während einer stürmischen Nacht im Jahre 1639 der ganze Küchentrakt samt Personal in das Meer gestürzt sein. An dieser Küste lassen sich lange Wanderungen unternehmen, auf und unter den Klippen und über weite Sandbuchten hinweg. Auch die kleinen einsamen Fischerorte, wo die eine oder andere Robbe vor der Hafenmauer auf den Felsen herumliegt, haben einen besonderen Reiz.

Das neue Nordirland macht sich auch in den Sperrins bemerkbar. Das ist eine wenig zugängliche Hügellandschaft 30 Kilometer südöstlich von Londonderry/Derry, von der Wanderführer Martin McGuigan sagt: »Diese Gegend kennen die wenigsten Nordiren.« Der 60-Jährige stammt aus einer Familie mit 19 Kindern, war früher Bauarbeiter und hat dann umgesattelt. Heute führt er Wandergruppen entlang der einsamen Pfade der Sperrins und entlang der Küsten Nordirlands.

Infos: Irland Information, 60329 Frankfurt am Main, Gutleutstr. 32

Tel.: (069) 92 31 85-0, Fax: -88,

www.entdeckeirland.de

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