Drei Seelen in der Brust

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
»Die ›guten Kapitalisten‹ sind allerdings ein Missverständnis.«
»Die ›guten Kapitalisten‹ sind allerdings ein Missverständnis.«

Ein Ehepaar aus dem deutschen Westen verkaufte sein Unternehmen, übersiedelte in ein mecklenburgisches Dorf und entfaltet seitdem ein für die Gemeinde segensreiches Wirken. So finanziert es die Rekonstruktion des Schlosses, das eine Einrichtung für alle sein soll. Dennoch begegnen ihnen nach eigener Aussage Voreingenommenheit und Ablehnung, weil sie nicht nur Wessis, sondern auch Kapitalisten seien. Die beiden wollen die Dorfbewohner deshalb davon überzeugen, dass auch Kapitalisten gute Menschen sein können.

Keine Frage, dass die Haltung der Linken zu den Unternehmern ihr politisches, soziales Grundverständnis herausfordert. Zunächst: Diese Neubürger verdienen uneingeschränkte Anerkennung. Die »guten Kapitalisten« sind allerdings ein Missverständnis. Sie handeln nicht als Kapitalisten, sondern entgegen der Kapitallogik, die nur eines ist: Geldvermehrung.

Kapitalisten sind aber nicht nur Geldvermehrer, sondern auch Menschen mit bestimmten Wertvorstellungen, die bis zur Aufforderung »sei edel, hilfreich und gut« reichen können. Wie sich die unterschiedlichen Maximen des Altruismus und der Geldvermehrung in der Seele des kapitalistischen Unternehmers vertragen, war die wichtigste Frage, die mich als Dozenten für politische Ökonomie und Seminarleiter im Sonderstudium für Leiter halbstaatlicher Betriebe Anfang der 1960er Jahre an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst umtrieb. Unter den Kursteilnehmern gab es Unternehmer, überzeugte Christen und einige Sozialisten, auch in mannigfacher Kombination. Man müsse beides grundsätzlich und radikal trennen, war die häufigste Antwort. Im Kreise von Verwandten und Freunde gehe es nicht um materiellen Vorteil, im Geschäftsleben aber in erster Linie.

In der Brust des kapitalistischen Unternehmers gibt es aber nicht nur zwei, sondern drei Seelen. Weil, wie Joseph Alois Schumpeter (1883-1950), maßgeblicher Theoretiker der Lehre vom Unternehmer, nachwies, die Funktion des Unternehmers von der des Eigentümers – der sich vor allem vom Profitinteresse leiten lasse – unterschieden werden müsse. Die wichtigste Funktion des Unternehmers sei die Neuerung. Und so gibt es Unternehmer, die vor lauter Geldscheffelei fast alles andere vergessen; solche, die sich mit Neuerung so intensiv befassen, dass sie die Geldscheffelei vernachlässigen; und solche, die alles ihrem Lebensgenuss unterordnen. Die Geldsucht ist in dieser Gesellschaft allgegenwärtig, prägend für Lebensweise und Kultur, zunehmend gesellschaftszerstörend, aber in verschiedenen sozialen Milieus und verschiedenen Menschen verschieden mächtig. Im Finanzkapital herrscht sie absolut.

In traditionellen mittelständischen Familienbetrieben ist die Bindung ans Produkt am stärksten. Sie ist Nährboden technologischer Innovation, für die sich die Großen oft erst interessieren, wenn Marktchancen in Sicht sind, wobei sie die eigene Grundlagenforschung zunehmend vernachlässigen. Und die mittelständische Wirtschaft stellt bekanntlich auch die meisten Arbeitsplätze. Nicht nur die nicht wenigen Hartz-IV-Bezieher unter den mittelständischen Unternehmern, sondern der gesamte Mittelstand geraten in immer stärkeren Gegensatz zu Großkonzernen und herrschender Politik. Die treibt entgegen allen Beteuerungen die Erosion der sozialen Mitte voran. Es gibt erhebliche übereinstimmende Interessen des Mittelstandes und der Linken. Dass ihr Verhältnis zueinander aber in jedem Falle widersprüchlich ist und bleiben wird, wissen alle Beteiligten.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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