Mit dem Rotstift gegen die Luftfahrtkrise

Die Airlines haben mit globalen Überkapazitäten zu kämpfen und setzen auf Deregulierung

Stillgelegte Flugzeuge auf einem Wüsten-Flugplatz in Kalifornien
Stillgelegte Flugzeuge auf einem Wüsten-Flugplatz in Kalifornien

Streiks wie bei der Lufthansa könnten in der Luftfahrtbranche in nächster Zeit deutlich zunehmen: Die Airlines setzen angesichts ihrer schweren Krise derzeit auf massive Kostensenkung.

Hinter der Luftfahrtbranche liegt ein »Annus horribilis« (schreckliches Jahr), wie es der Generaldirektor der Internationalen Luftfahrtvereinigung (IATA), Giovanni Bisignani, ausdrückt. Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sanken die Passagierzahlen um 3,5 Prozent, die Nachfrage im Frachtgeschäft brach sogar um 10,1 Prozent ein. Besonders besorgniserregend für die Konzernchefs war die Auslastung: Einer von vier Sitzplätzen blieb unbesetzt, Frachtflieger flogen im Schnitt halb leer um den Globus.

Das schlechteste Jahr seit Ende des Zweiten Weltkriegs machte sich natürlich auch in den Bilanzen bemerkbar. Die Verluste der 230 IATA-Mitgliedergesellschaften kletterten auf rund acht Milliarden Euro. Da seit Jahren rote Zahlen geschrieben werden, ist der Schuldenberg der Airlines stark gewachsen. Beobachter warnen bereits davor, die Branche könnte in eine eigene Finanzkrise schlittern.

Wie in der Konzernwelt üblich, lautet das Zauberwort: Kostensenkung. Viele Airlines haben einen Teil ihrer Flotte vorübergehend eingemottet. Unternehmen, die es sich leisten können, ordern die von Herstellern angekündigten spritsparenden Jets. Längst gekürzt wurde beim Service, aber auch an den Lohnkosten. Und ein Flugzeug mit mehr Sitzen fliegt natürlich profitabler. Doch angesichts enger Sitzplätze sind die Spielräume hierbei wohl ausgereizt. Und nicht alles ist durchsetzbar: Der Versuch von Air France/KLM, von stark übergewichtigen Passagieren den doppelten Preis zu kassieren, scheiterte an Protesten der Kundschaft.

Bisherige Kostenreduzierungen konnten indes nicht einmal die Preissenkungen wettmachen, mit denen die Airlines auf den zunehmenden Konkurrenzdruck reagierten. Hauptproblem der Branche sind nämlich massive Überkapazitäten weltweit. Auf Grundlage völlig überzogener Wachstumserwartungen waren die Kapazitäten in den Vorjahren massiv ausgebaut worden. Neue Unternehmen insbesondere im Billigflugsegment tauchten auf, recht junge Airlines – insbesondere im Mittleren Osten – setzten auf massive Expansion auch auf den klassischen Märkten in den Industrieländern.

Einige große Airlines wie die Lufthansa setzen deshalb auf einen Konzentrationsprozess, der über die Bildung großer Allianzen hinausgeht. Zahlreiche kleine Airlines werden verschwinden oder eben geschluckt. Die Branchenlobby fordert zudem eine stärkere Deregulierung. Staaten sollten ihre nationalen Gesellschaften nicht länger durchfüttern und auch die Streckenvergabe liberaler gestalten. Doch eine solche Strategie würde mit dem Bedürfnis der Passagiere nach hohen Sicherheitsstandards ebenso kollidieren wie dem der Beschäftigten nach guten Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen. Streiks wie jetzt bei der Lufthansa dürften zunehmen.

Weitgehend ignoriert werden derweil Umweltaspekte. Das Ende des Ölzeitalters naht, und die Preise für Treibstoff, die bereits rund ein Viertel der Betriebskosten ausmachen, werden eher noch steigen. Im Zuge des Kampfs gegen den Klimawandel – der Flugverkehr zählt zu den wenigen CO2-Hauptemittenten mit massiv gestiegenem Ausstoß im vergangenen Jahrzehnt – will zumindest die EU für die Branche einen Emissionshandel einführen, der die Flugpreise verteuern würde.

Eine Rückkehr zu alten Boomerwartungen ist daher unrealistisch. Und da innovative Geschäftsmodelle fehlen, wird auch für 2010 trotz wieder steigender Passagierzahlen ein fettes Milliardenminus prognostiziert. Oder wie IATA-Chef Bisignani es ausdrückt: »ein spartanisches Jahr«.

Konzern Lufthansa

Die Deutsche Lufthansa ist mit ihren vielen Töchtern Europas größte Fluggesellschaft. In der Lufthansa AG sind interkontinentale Flüge aus Deutschland und große »Rennstrecken« zwischen Metropolen in Europa angesiedelt. Das Kernstück des Konzerns, auch Lufthansa Classic genannt, wird bestreikt. Unter dem Markennamen Lufthansa Regional fungieren fünf Regionalpartner, darunter Eurowings, an der die Lufthansa knapp zur Hälfte beteiligt ist, und Cityline, die auf weniger stark nachgefragten Strecken unterwegs ist. Germanwings ist der Billigflieger im Konzern. Auch hier wird gestreikt. Zuletzt gab es zahlreiche Übernahmen von Airlines, die als eigenständige Marken erhalten blieben: Swiss, Austrian Airlines, Brussels Airlines und British Midland. Ferner gibt es diverse Beteiligungen, etwa an der türkischen Sun-Express und der US-Gesellschaft JetBlue. Weitere Geschäftsfelder sind Lufthansa Cargo, eine der weltgrößten Frachtfluggesellschaften, die Cateringtochter LSG Sky Chefs, der Technik- und der IT-Bereich. ND/dpa

Fluggastrechte

Lufthansa und Germanwings bieten den von Flugstreichungen betroffenen Kunden kostenlose Stornierungen oder Umbuchungen auf Flüge bis spätestens 31. März an. Zudem wollen die Airlines für die Betreuung der Fluggäste sorgen, wenn diese am Flughafen festsitzen.Auf innerdeutschen Strecken soll auf die Bahn ausgewichen werden. Die Passagiere können sich entweder direkt eine Bahnfahrkarte kaufen oder sie holen sich an Lufthansa-Automaten Gutscheine, die in den Zügen als Fahrkarten gelten. Weitere Informationen etwa über den Sonderflugplan im Internet unter: www.lufthansa.com.Die Lufthansa ist verpflichtet, ihren Passagieren nach Möglichkeit für die gebuchten Flüge Ersatzverbindungen zu beschaffen. Die Tochter Swiss und der Star-Alliance-Partner LOT aus Polen wollen zusätzliche Kapazitäten bereitstellen.Schadenersatz für weitergehende Folgen von Flugausfällen will Lufthansa nicht zahlen. Streiks seien außergewöhnliche Umstände im Sinne der nach der EU-Verordnung über Fluggastrechte, das Unternehmen sei daher von der Zahlungspflicht befreit. Diese Sicht ist allerdings juristisch umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden. Entschädigungen könnten bis zu 600 Euro auf der Langstrecke betragen. dpa/ND
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