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Geologie spielte keine Rolle

Atommüll: Neue Dokumente und ein Untersuchungsausschuss, der Aktuelles ausklammern soll / Geheimakte zeugt von manipulierten Gutachten und Missachtung der Wissenschaft

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg präsentierte vor kurzem eine CD mit dem Titel »Geheimakte Gorleben«. Sie ist voller Dokumente, die belegen, dass Gorleben niemals aus wissenschaftlichen Kriterien zum Endlagerstandort ausgewählt wurde.

Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) setzte 1977 nicht aus wissenschaftlich-geologischen Gründen, sondern wegen der »Zonenrandlage«, der hohen Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Wendland sowie einer großen, nicht bebauten Fläche über dem Salzstock von Gorleben auf diesen Platz. Dies geht aus Dokumenten der Bürgerinitiative hervor.

Außer einem Endlager, so die damaligen Pläne, sollten in Gorleben auf einem zwölf Quadratkilometer umfassenden Areal auch eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage, mehrere Zwischenlager und weitere Nuklearfabriken entstehen. Zuvor hatte ein Team um den Geologieprofessor Gerd Lüttig bundesweit hunderte Salzstöcke erkundet – Gorleben kam im Ergebnis dessen nicht in die engste Auswahl. Zeitgleich machte sich eine interministerielle Arbeitsgruppe auf die Suche. Die von ihr favorisierten Standorte, darunter auch Gorleben, wurden mittels einer Punktetabelle bewertet. Unter geologischen Aspekten – eigentlich entscheidend für ein atomares Endlager – schnitt Gorleben miserabel ab, der Salzstock erreichte nur 32 von 266 möglichen Punkten.

Wie aus niedersächsischen Kabinettsprotokollen hervorgeht, setzte Albrecht die Benennung von Gorleben damals gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) durch. Der Bund habe »Schwierigkeiten für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR« sowie Geldforderungen der DDR gefürchtet. Die Einwände der Bundesregierung überzeugten Albrecht damals nicht. Nach Angaben des längst emeritierten Geologen Lüttig hatte es Gorleben dem niedersächsischen Ministerpräsidenten gerade wegen seiner Grenznähe angetan. »Er wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Zonengrenze haben, weil die Ostzonalen, wie er immer sagte, uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrockt hatten«, sagt Lüttig.

Allerdings rächte sich der geringe Stellenwert der Geologie bei der Auswahl bald. Die Untersuchung durch Tiefbohrungen brachte nicht die gewünschten Ergebnisse. Es stellte sich heraus, dass es über dem Salzstock keine geschlossene Gesteinsschicht gibt. Anstelle eines Radioaktivität zurückhaltenden Deckgebirges fand man eine in der Eiszeit entstandene, mit Geröll gefüllte Rinne und Wasser führende Zone, die in das Salz hineinragt. Die damals federführende Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) kam 1983 zu dem Schluss, dass das Deckgebirge »nicht in der Lage wäre, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten«. Die Gutachter hielten den Salzstock nur für die Endlagerung schwach- und mittelaktiven Abfalls geeignet und empfahlen »parallel laufende übertägige Erkundungsmaßnahmen anderer Standorte«. Die CD der Bürgerinitiative dokumentiert, dass die Wissenschaftler diesen Vorschlag auf Druck der damaligen CDU/FDP-Bundesregierung aus der Endfassung ihres Gutachtens streichen mussten.

»Grober Unfug« ist es aus Sicht der BI, in Gorleben überhaupt von einer Erkundung zu sprechen. Unter Tage sei bereits einer der späteren Einlagerungsbereiche aufgefahren worden, insgesamt neun Kammern sollen dem Rahmenbetriebsplan zufolge noch gebaut werden. »Das ist doch längst der Bau des Endlagers«, sagt BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

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