Die Seele des Festivals

Der langjährige Leiter des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern sieht dessen Zukunft gefährdet

  • Lesedauer: 4 Min.
In Schwerin startete gestern das 20. Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern. Bis zum Sonntag werden mehr als 80 Filme gezeigt, davon jeweils zehn im Spielfilm- und im Kurzfilmwettbewerb. Im Vorfeld gab HASSO HARTMANN, der das Filmkunstfest in den vergangenen Jahren als künstlerischer Leiter maßgeblich geprägt hat, einen Rückblick auf die Entwicklung dieses Kulturereignisses im Nordosten. Mit Hartmann – er kann wegen einer schweren Erkrankung in diesem Jahr nicht selbst in Schwerin teilnehmen – sprach MARTINA KRÜGER.

ND: In diesem Jahr wird ein Jubiläumsfest begangen – wie war das vor 20 Jahren, als alles begann?
Hartmann: Am Anfang stand ein Telefonanruf meiner ehemaligen Kollegin Gabriele Kotte, einst Autorin bei der DEFA. ›Wir bauen hier einen Filmverein auf, veranstalten ein Filmfest‹, sagte sie. Gemeinsam mit dem Galeristen Ulrich Kavka, der sich für das Forum der Künste engagierte, und dem Regisseur Dieter Schumann entwickelten wir ein Profil. Ab 1993 hieß das Festival dann auch FILM-KUNST-FEST.

Das Festival nahm sich in seinem Kernpunkt, dem Spielwettbewerb, des deutschsprachigen Films an. Warum?
Das hatte zunächst mit den Gründern zu tun. Der veranstaltende Filmverein MV betätigte sich auch in der kulturellen Filmförderung. Wir wollten den Filmen, die dort entstanden, ein öffentliches Podium verschaffen. So ging es übrigens vielen deutschsprachigen Produktionen – und das ist bis heute so. Ich glaube nach wie vor, dass der kulturelle deutschsprachige Film – auch wenn es immer mal eine Euphorie gibt – gefördert werden muss.

Was muss einen Film auszeichnen, der es in den Schweriner Wettbewerb schafft?
Er muss künstlerisch und gesellschaftlich engagiert sein. Das Festival lädt mit seinen Filmen auch dazu ein, sich jenseits vom Mainstream mit unserer Realität ausein-anderzusetzen. Ich bin noch so ein Anhänger der Schillerschen »moralischen Anstalt« und glaube, dass Kunst unter anderem eine Funktion darin hat, dass sie die Menschen dazu veranlassen kann, über ihr Leben nachzudenken. Das hat sicher auch etwas mit unseren ›Wurzeln‹ zu tun. Und das sind die ostdeutsche Kultur und der DEFA-Film. Es ging in Schwerin auch immer darum, sich mit diesem jüngsten Erbe produktiv auseinanderzusetzen und so eine kulturelle Kontinuität zu wahren. Ich denke da an Arbeiten von Frank Beyer, Heiner Carow, Konrad Wolf oder Roland Gräf …

Das rückt Sie, oberflächlich gesehen, in eine ostalgische Ecke.
Ich betonte die ›Wurzeln‹, aber wende mich gegen diese verhängnisvolle Osttümelei. Schwerin war immer ein offenes deutsch-deutsches Festival! Von Anfang an gab es ein Interesse der Thalbachs, Juhnkes oder Glownas an uns. Juhnke zum Beispiel, der seinerzeit eher seiner Eskapaden wegen öffentlich interessant schien, war 1993 ausgesprochen angetan davon, dass es bei uns ausschließlich um seine Filme ging.

Was gab es für Entdeckungen in all den Jahren?
Andreas Dresens Film ›Stilles Land‹ hatte hier zum Beispiel seine Uraufführung. Andreas Kleinert, Sven Taddicken oder Christian Petzold stellten hier all ihre Arbeiten vor. Schön ist dabei: Diese Regisseure kommen immer wieder, weil sie hier Gesprächspartner und ein spürbares Interesse finden.

Das Filmfest lebt in der öffentlichen Wahrnehmung aber doch auch von den ganz Prominenten, die Jahr für Jahr in Schwerin vorbeischweben ...
Sie spielen auf den Ehrenpreis der ›Goldene Ochse‹ an. Seine Geburt verdankt er einer traurigen Tatsache. Ich war bei Frank Beyer zu einem Arbeitsgespräch und zum Abschied sagt er, fast beiläufig: ›Jetzt hat mich auch diese Scheiß-Krankheit erwischt …‹ Wir überlegten, wie wir ihn ehren könnten. Im Jahr 2002 war er dann der erste, der mit dem ›Goldenen Ochsen‹ für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Schauen Sie sich seitdem unsere Ehrenpreisträger an – alles Künstler, die ein großes, faszinierendes Schaffen vorweisen. Und ich sehe es auch als große Wertschätzung, dass Künstler wie Mario Adorf, Götz George, Senta Berger, Klaus Maria Brandauer, Hannelore Elsner oder Michael Ballhaus unseren undotierten Preis angenommen haben und Tage bei uns waren.

Eine Erfolgsgeschichte also, sieht man von den Mühen der Ebene ab. Nun sollen die Zuschauerzahlen verdoppelt oder verdreifacht werden?
Gegen die Erhöhung von Zuschauerzahlen kann man natürlich prinzipiell nichts sagen. Wir haben jetzt beim Filmkunstfest im Schnitt in fünf Tagen 18 000 Besucher. Damit sind wir immerhin zum größten Spielfilm- und Publikumsfestival der neuen Bundesländer geworden und befinden uns bei 80 deutschen Filmfestivals unter den ›Top-Ten‹. Angesichts der durch die Geschäftsführung der Filmland MV neuerdings angestrebten ›Verkaufsdimensionen‹ und der angedachten Art einer ›Eventisierung‹ des Programms, fürchte ich jedoch um die Seele des Festivals. Die Seele, das sind die Kreativen, ihre Filme, die gesellschaftliche Dialogfähigkeit, die fast familiäre Atmosphäre der Gespräche und das Publikum, das hier nicht nur zuschaut, sondern Teil des Ganzen ist. Und wenn man seine Seele verkauft – man lese nur in den einschlägigen Märchen nach …

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