Zu Gast bei den Dogon in Mali

Wie sozialverträglicher Tourismus funktionieren sollte

  • Natascha Thoma
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein kleines Mädchen bereitet das Essen für die Besucher zu.
Ein kleines Mädchen bereitet das Essen für die Besucher zu.

Die Männer gehen auf die Jagd, die Frauen bestellen die Felder. Streitigkeiten innerhalb der Dorfgemeinschaft werden kollektiv gelöst, wenn gar nichts mehr geht, entscheiden die Dorfältesten. Der Stamm der Dogon lebt fernab der Zivilisation am Fuß eines Felsabbruchs im Südosten Malis. Die staubigen Dörfer sind nicht ans Stromnetz angeschlossen und nur mit Eselskarren oder einem Geländefahrzeug zu erreichen.

Doch die Abgeschiedenheit trügt: Über 100 000 Touristen kommen jedes Jahr in den Osten von Mali, um in der spektakulären Landschaft zu wandern, die traditionellen Lehmdörfer mit ihren spitzbedachten Speicherhäusern zu fotografieren und deren afrikanischen Bewohner zu erleben.

Für die Touristen sind im Schatten unter dem offenen Strohdach der Schule Bänke aufgestellt worden, während die Bewohner der umliegenden Dörfer in der prallen Sonne stehen. Etwa zwei Dutzend Männer in farbigen Polyester- Baströckchen und mit muschelbesetzten dunklen Masken stürmen auf den Platz. Zu Trommeln und Pfeifen tanzen, hüpfen, stampfen und wirbeln sie im Kreis. Schließlich liefern sich zwei Tänzer auf hohen Stelzen einen Schaukampf.

Die einheimischen Frauengruppen gegenüber, auf den schlechtesten Plätzen hinter den Tänzern, stehen archaisch ergriffen wie Darsteller in einem Passionsspiel. Für sie ist die Aufführung eine seltene Unterhaltung – beim Originaltanz sind sie gar nicht zugelassen, denn die echten Feiern und Maskentänze der Animisten sind eine exklusive Angelegenheiten der männlichen Geheimbünde.

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Wir sind fasziniert von Farbe und Rhythmus der wilden und ungewöhnlichen Tänze, und fühlen uns gleichzeitig unwohl, dass dieses Spektakel – eigentlich ein religiöser Ritus – extra für uns, die reichen Ausländer, aufgeführt wird, die im Schatten sitzen und für die Exotik bezahlen.

»Für die Dogon ist der Tourismus schon seit mehreren Generationen ein Wirtschaftsfaktor, aber die Tänze machen sie auch für sich selbst«. Kundri Böhmer-Bauer vom Reiseveranstalter Hauser Reisen betrachtet den Effekt auf die einheimische Kultur pragmatisch. Immerhin würden die Tänze vor Touristen ja auch zum Erhalt des Kulturguts beitragen und durch die materielle Wertschöpfung die alten Traditionen auch bei den Dogon selbst kulturell wieder eine Aufwertung erleben.

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Nicht nur Touristen, auch europäische Wissenschaftler und Entwicklungshelfer suchen bei Stämmen wie den Dogon nach dem »Reinen und Unberührten«, bestätigt die Ethnologin Ilsemargret Luttman. »Aus diesem übergestülpten, aber auch von einheimischen Führern durchaus übernommenen Diskurs entsteht bei Touristen oft die Vorstellung, die Dorfbewohner hier wollten ja gar keinen Fortschritt, und schon gar kein modernes Leben. Doch so ist es natürlich nicht.« Wer sich umschaut, bekommt das schnell bestätigt, beispielswiese durch die mannshohe Satellitenschüssel im Innenhof des Camps. Betrieben werden Schüssel und Fernseher mit einer Autobatterie.

Wer einen Urlaub bei den Dogon plant, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die pittoresken Dörfer und das oft malerische Aussehen der Tänzer, Magier und Marktfrauen auch ganz bewusst zur Tourismusförderung eingesetzt werden. Bei aller Freude an der Exotik sollte man davor nicht die Augen verschließen, sondern Respekt gegenüber der veränderten lokalen Lebenswelt zeigen. Wenn die Dogon für uns das Stück »Ursprüngliches Afrika« aufführen, sind sie eben gleichzeitig auch Schauspieler, die hinter der Bühne fernsehen oder mit dem Handy telefonieren.

Die eigene Motivation für den Besuch bei einem Stamm wie den Dogon will überdacht sein, vor und während der Reise. »Tourismus hilft den Menschen im Land. Man sollte sich natürlich vorher gut überlegen, warum sie eigentlich dorthin fahren wollen«, gibt Böhmer-Bauer zu bedenken. »Was will ich eigentlich sehen? Und dann die Augen offenhalten.«

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Für die Gäste wird ein Mittagessen zubereitet. Neben dem blauen Plastikbottich mit Brunnenwasser wäscht Adama die Hirse. Immer wieder übergießt sie das Getreide in zwei großen Kalebassen mit Wasser. Danach zerstößt sie es mit einem gut einem Meter langen armdicken Stampfer in einem Mörser. Adama ist etwa zwölf Jahre alt, so genau weiß sie das nicht. Ihre jüngere Schwester rupft inzwischen ein ledriges Huhn für unser Mittagessen und brennt die Federkiele mit ernstem Gesicht in der Kohlenglut ab.

Als wir nach der Mittagspause das mit einer hohen Lehmmauer umfriedete Camp verlassen, folgt uns eine Traube Kinder. »Domma kadoh! Domma bonbon!« (Gib mir ein Geschenk! Gib mir ein Bonbon!) Evelyn kann nicht genug Französisch, um zu wissen, worum sie da genau bettelt, aber es funktioniert oft genug, um den Versuch wert zu sein. Einige der Kinder verkaufen Andenken: Rasseln aus den Früchten des heiligen Baobabbaums, Armbänder oder kleine Bastkörbchen. Ein etwa dreijähriger Knirps hält Filzstiftzeichnungen von Maskentänzern auf kariertem Papier hoch, alle fast identisch und sehr ordentlich gemalt. Einen Euro will er dafür.

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Kinderarbeit und Armut – auch damit werden die Touristen in Westafrika konfrontiert. Gerade wegen der Armut wollen viele nicht in ein Entwicklungsland reisen, auch wenn das Land selbst sie interessiert. Zum eigenen Unbehagen angesichts der Armut kommen dann oft noch moralische Zweifel: Machen wir nicht alles viel schlimmer, wenn wir durch die Dörfer stolzieren wie durch einen Zoo, die Bewohner 8-fach zoomen und Kindern Kugelschreiber zustecken, die hernach auf dem Wochenmarkt verkauft werden?

»Betteln sollte man nicht unterstützen«, sagt Böhmer-Bauer. »Aber wenn sich jemand für die Touristen traditionelle Tracht anzieht und fotografieren lässt, ist das eine Dienstleistung, für die auch bezahlt werden muss.« Schon seit ein paar Generationen haben der allgemeine Fortschritt und das resultierende Bevölkerungswachstum dazu geführt, dass die traditionelle Wirtschaft die Bevölkerung nicht mehr ernähren kann. Das hat nicht ursächlich mit dem wachsenden Tourismus zu tun. Der verändert die Kultur zwar weiter, ist aber überlebensnotwendig.

Sozialverträglicher Tourismus besteht deshalb darin, die goldene Mitte zwischen Fortschritt und Tradition zu finden: Wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, ohne die Menschen von ihren kulturellen Wurzeln wegzureißen. Und umgekehrt: Traditionen zu erhalten, ohne Kinderarbeit, gefährlichen Zauberpraktiken und der Unterdrückung von Frauen das Wort zu reden.

Deutsche Reiseveranstalter beteuern, dass ein großer Teil der Einnahmen vor Ort bleibe und der lokalen Wirtschaft zugute komme. »Alle europäischen Anbieter achten sehr auf soziale Standards«, fügt Ulrich Rosenbaum von Studiosus Reisen hinzu. »Manche einheimischen Anbieter sind da unbedarfter«.

Sozialverträgliches Reisen in Entwicklungsregionen wie bei den Dogon stellt also hohe Anforderungen: Man muss nicht nur den Veranstalter sorgfältig auswählen, sondern der Kultur selbst aufmerksam und mit Respekt begegnen. Dafür werden Touristen mit außergewöhnlichen und unvergesslichen Erlebnissen und einem erweiterten Horizont belohnt und tragen zur Schaffung einiger dringend benötigter Arbeitsplätze bei.

  • Infos: Allgemeine Auskünfte erteilt die Botschaft der Republik Mali, Kurfürstendamm 72, 10709 Berlin, Tel.: (030) 319 98 83, www.ambamali.de. Nützliche Reiseinformationen gibt es auf der Homepage des Konsulats in Düsseldorf, www.mali-online.de.
  • Reisen nach Mali bieten an: Karawane Reisen, www.karawane.de; Ikarus Tours, www.ikarus.com;
  • Hauser Exkursionen, www.hauser-exkursionen.de; Tounga Tours, www.toungatours.com.
  • Entwicklungshilfeorganisationen: Die meisten großen Entwicklungshilfeorganisationen, wie Ärzte ohne Grenzen, Caritas oder Oxfam haben Projekte in der Region. Der Verband Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen listet in seiner Datenbank auch kleine Organisationen nach Zielland und Themen auf: http://venro.org.
Die traditionellen Tänze der Dogon werden heute vor allem für Touristen aufgeführt.
Die traditionellen Tänze der Dogon werden heute vor allem für Touristen aufgeführt.
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