Sonderbotschaft in Pankow

  • Charlotte Noblet
  • Lesedauer: 3 Min.
Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR – Auf einmal war es mir klar: Im Osten von Berlin stecken viele ehemalige Botschaftsgebäude. Mit diesem Gedanken machte ich mich auf den Weg nach Pankow, bekannt als traditionelles Diplomatenquartier. Mit einem Sprung war ich im Irak!
Sonderbotschaft in Pankow

Vom Schloss Schönhausen aus führt die Tschaikowskistraße weg. Bei den Nummern 45 bis 51 biegt sie in ein kleines Karree. „Privatstraße“ steht da. Vier weiße Plattenbauen aus den 70er Jahren grenzen einen Parkplatz ab. Es sind vier ehemalige Botschaftsgebäude. Einer der dreigeschossigen Würfel steht heute leer, seinem Schicksal überlassen. (Mehr Bilder mit einem Clic auf den Titel)


Wie auf einem Kriegsfeld sieht es da drinnen aus: Glasscheiben liegen auf dem Boden, zerstörte Möbel und kaputte Stühle füllen Räume und Fluren. Mal vom Unkraut bewachsen und mal verbrannt führen Treppen durch das Gebäude. Auf der Fassadenseite bemänteln noch mühsam Tüllgardinen verwüstete Büros aus dem Vor-Computer-Zeitalter, mit mechanischen Schreibmaschinen. Auf der Gartenseite sind auch alte Telefonreste und Faxgeräte zu sehen. Und auf der Terrasse alte Sessel um einen Tisch: Hier wird anscheinend ab und zu gegrillt, im Kerzenlicht. Ein paar alte Matratzen weisen auf ephemere Nachnutzungen des Ortes hin. Und quasi überall zwischen den Scherben liegen auf dem Boden lauter Dokumente auf Arabisch. Die Akten werden ab der zweiten Etage noch zahlreicher. Viele Telefonbücher sind auch dabei, oft halb verbrannt. Und manchmal sind Dokumente auf Deutsch zu erkennen, wie zum Bespiel über „die Barbarei des Regimes in Teheran“. Da lösen Überweisungsscheine aus den 80ern ein Rätsel aus: Die Adresse ist die der Botschaft des Irak.


Seit dem Zweiten Golfkrieg steht die Botschaft des Irak in der Tschaikowskistraße leer. Im September 1990 stellte ein Bericht von „Junge Welt“ das Botschaftspersonal unter Druck: Sprengstofflager für Terroristen habe die Botschaft angelegt und „Terroristenkommandos“ könnten auch jederzeit auf deutsche Entscheidungen gegenüber dem Krieg reagieren. Waffen wurden gefunden, weitere Recherchen wurden nicht unternommen. Aber im Januar 1991 wurde das Personal im Zuge des Golfkriegs zur Ausreise aufgefordert. Seitdem steht die ehemalige irakische Residenz der DDR leer. Nach zwanzig Jahren sind dort keine Porträts mehr von Saddam Hussein zu sehen, keine Spuren des großen Diktators für den, der kein Arabisch versteht. Selbst die Fliese wurde randaliert. Als Ersatz-Deko sind ein paar gesprayte Sprüche zu lesen: „traq’m embassy“, „bombin die Botschaft“.

Eigenartig. Das 5000 qm Grundstück gehört Deutschland, die Benutzung des Gebäudes aber dem Irak. So steht es im Grundbuch. Die irakische Botschaft in Zehlendorf scheint aber an dem Schicksal der stillgelegten Residenz kaum interessiert zu sein. Investiert wird lieber weiter in Dahlem als wieder in Pankow.

Um den Ort in der Tschaikowskistraße wird viel spekuliert: Wie waren denn die Beziehungen zwischen der DDR und dem Irak? Der Irak war der erste Staat außerhalb des Ostblocks, der die DDR 1969 diplomatisch anerkannte. Knapp ein Jahr nach dem Beitritt der DDR in die UNO wurde die irakische Botschaft 1974 eröffnet. Ein schönes Grundstück im Grünen für den ölreichen Bruderstaat. 1980 berichtete der Spiegel, dass zwei irakische Botschaftsangehörige aus Pankow in West-Berlin verhaftet worden sind. Sie hätten einen Koffer voll mit Sprengstoff einem Spitzel übergeben wollen. Ziel des Anschlags soll ein Treffen in Wedding von kurdischen oppositionellen Gegnern der Regierung in Bagdad gewesen sein. Es wurde nicht weiter untersucht. An solche Geschichten traut sich kaum einer im Keller der ehemaligen Residenz!

(Mehr Bilder sind - mit einem Clic auf den Titel - im Diaporama zu sehen)

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