Ungewissheit im Zweistromland

Viele Anschläge zum Abzug der US-Truppen und noch immer keine neue Regierung in Bagdad

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Abzug der letzten US-Kampftruppen aus Irak wird von vielen Anschlägen begleitet. Ziel sind nicht die abziehenden Truppen oder die verbliebenen rund 50 000 Soldaten, sondern die Zivilbevölkerung und jene, die für ihre Sicherheit sorgen sollen.

Dieser Tage wurden acht Mitglieder der Sahwa-Milzen getötet, die aus früheren sunnitischen Kämpfern bestehen und der Regierung unterstehen. Die Übergangsregierung von Nuri al-Maliki macht Al Qaida »und ihre Verbündeten von der Baath-Partei« verantwortlich, doch in der Bevölkerung wachsen Zweifel. Neue Gefahren will Maliki auch für die Ölförderanlagen ausgemacht haben und ordnete entsprechende Sicherheitsmaßnahmen an. Schließlich basiert der irakische Haushalt zu 95 Prozent auf dem Verkauf von Öl. Al Qaida plane, die Transportwege und Pipelines anzugreifen, erklärte der Chef der irakischen Ölpolizei, Generalmajor Hamid Ibrahim. Doch sei man »jederzeit einsatzbereit«. Zugleich räumte der General in einem Interview allerdings ein, dass seiner eigentlich 41 000 Mann starken Truppe 10 000 Leute fehlen. Auch mangelt es an Flugzeugen zur Überwachung, Fahrzeugen, um die Truppen zu bewegen, und um Wasser auch zu den entlegenen Stellungen zu transportieren. Fünf Anschläge habe man 2010 verhindern können – wie viele Anschläge es gab und gibt, bleibt geheim.

Die deutlich gestiegene Zahl der Attacken sei auf das politische Vakuum im Lande zurückzuführen, beklagen Politiker, doch tragen sie selbst erhebliche Verantwortung dafür. Ein halbes Jahr nach den Wahlen, bei denen die Al-Irakia-Liste mit Ijad Allawi mit zwei Mandaten Vorsprung knapp gewonnen hatte, ist der Zweitplatzierte, der bisherige Regierungschef Nuri al-Maliki, nicht bereit, den Weg zu einer neuen Regierung freizumachen. Koalitionsverhandlungen zwischen beiden Parteien, die zusammen deutlich über dem notwendigen Quorum von 163 Stimmen im Parlament liegen und damit ein stabiles Kabinett bilden könnten, geraten immer wieder ins Stocken.

Maliki und Allawi sind Schiiten, und auch wenn Allawi eine säkular und Maliki eine religiös ausgerichtete Politik betreiben will, verstehen sie sich als irakische Nationalisten. Diese Koalition wäre Wunsch der USA, die nun das Amt eines Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates vorgeschlagen hat, um beiden Männern einen wichtigen Posten zu verschaffen. Auf Wunsch irakischer Parteien, wie es in arabischen Medien hieß, hätte die Türkei wiederum als »Lösung« ein »libanesisches Modell« angeregt. Danach sollen die drei wichtigsten Ämter des Präsidenten, Minister- und Parlamentspräsidenten unter den Kurden, Schiiten und Sunniten aufgeteilt werden.

Das Irakische Frauennetzwerk und weitere Nichtregierungsorganisationen haben derweil eine Klage beim Obersten Irakischen Gerichtshof gegen den amtierenden Parlamentspräsidenten, Fuad Massum, wegen »Verletzung der Verfassung« eingereicht. Massum hatte am 14. Juni die erste Sitzung des neu gewählten Parlaments eröffnet, sie aber nicht wieder geschlossen, sondern lediglich bis auf weiteres vertagt. Die gewählten Parteien würden nun »absichtlich« die Regierungsbildung hinauszögern und damit »gegen die Interessen des irakischen Volkes verstoßen«, erklärte Bushra al-Ubaidi vom Irakischen Frauennetzwerk. Der Oberste Gerichtshof müsse Massum zwingen, die Parlamentssitzung zu schließen, oder das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen. Ob die Bürger aber an einer Neuwahl teilnehmen würden, sei fraglich, räumte auch die Frauenaktivistin ein. »Sie haben völlig ihr Vertrauen in die von ihnen gewählten Politiker verloren, die nur an ihrem eigenen Wohl interessiert sind, nicht aber am Wohl der Iraker.«

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