Kein Zuzugsstopp für Kreuzberg

Rot-Rot lud zum Thema Integrationsgesetz in den Festsaal des Parlaments

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Senat hat gestern das Partizipations- und Integrationsgesetz verabschiedet. Es wird nun dem Abgeordnetenhaus zur Beschlussfassung vorgelegt.

Der Auftakt der parlamentarischen Beratungen des Partizipations- und Integrationsgesetzes war den Koalitionsfraktionen gemeinsam mit weit mehr als 200 Vertretern von vorwiegend migrantischen Initiativen, Vereinigungen und Einzelpersönlichkeiten am Montagabend eine würdige Veranstaltung wert. Die wichtigste Botschaft aus dem wohl absichtsvoll gewählten Festsaal des Abgeordnetenhauses dürfte dabei gewesen sein, dass das Partizipations- und Integrationsgesetz von Rot-Rot sehr ernst genommen und gemeinsam mit vielen seiner Adressaten und Akteure verbessert und durchgesetzt werden soll. Das kam an.

Denn mit Wunschdenken allein, so Hakan Tas, Vize-Vorsitzender des Landesbeirates für Integrations- und Migrationsfragen, könne die Realität nicht verändert werden. Durch ein Gesetz werde die Integration Pflichtaufgabe, die interkulturelle Öffnung festgeschrieben. Es sei »nicht selbstverständlich, sondern sogar mutig«, dass Berlin als erstes Bundesland ein solches Gesetz schaffen wolle. Mit einer »innovativen Regierung« ließen sich von Berlin aus Zeichen setzen und der Bundesregierung Impulse geben. Das Gesetz habe »eine sachgerechte Diskussion und Unterstützung verdient«.

Die Hälfte der Berliner bewerte das Zusammenleben der Angehörigen von 190 Nationen als gut, unterstrich Integrationssenatorin Carola Bluhm (LINKE). Berlin sei akzeptiert und anerkannt als Einwanderungsstadt. Doch in der erklärten Bereitschaft, Probleme nicht klein- oder schönreden zu wollen, fügte die Politikerin ein ganzes Paket drängender Probleme hinzu. So sprach sie von alltäglicher und struktureller Diskriminierung, dem Fehlen einer »Anerkennungs- und Wertschätzungskultur« sowie der verweigerten Anerkennung von Berufsabschlüssen. Nein, es gehe nicht darum, Ausländer zu bevorzugen oder Ostern und Weihnachten abzuschaffen, erinnerte sie an besorgte Anfragen aus früheren Debatten. Es gehe vielmehr um mehr Teilhabe, mehr Gleichberechtigung von Migranten, die gesetzliche Verankerung von Beteiligungsgremien oder auch die weitere interkulturelle Öffnung der Verwaltung.

Natürlich waren sich die Beteiligten der Brisanz des hoch aktuellen Themas bewusst. Das bewies die selbst für die Veranstalter schon fast überraschend große Beteiligung. Das bewies auch manche Polemik. Wenn auch Buchautor Thilo Sarrazin oder Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (beide SPD), die ebenso wie Gesetzeskritiker aus dem Rat der Bürgermeister fehlten, nicht immer direkt namentlich angegangen wurden, galt doch gerade ihnen manches Widerwort.

»Ich lasse mir nicht von irgendwelchen Volksverdummern sagen, dass die Integration gescheitert ist«, schimpfte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), »mitnichten!« Das Integrationsgesetz gehöre nicht »in die Tonne« getreten, wie manche Kritiker meinten. Denn »es gibt einen erheblichen Nachholbedarf«. Er mochte das Gesetz nicht als Lösung aller Probleme, erläuterte Wowereit, sondern als »Baustein für die Integration« sehen. Die sei schwierig, wie man wisse. So sei schon in den 1970er Jahren beispielsweise eine solche Idee wie der »Zuzugsstopp für Kreuzberg« verworfen worden. »Menschen, die herkommen, sollen mit offenen Armen aufgenommen werden«, lautete sein Angebot. »Und Menschen, die hier sind, müssen ihren Weg in die Gesellschaft finden.«

Eine kritische Debatte und gute Beispiele gehörten zusammen, hatte SPD-Fraktionschef Michael Müller zum Auftakt für Sachlichkeit und eine »spannende und interessante« Auseinandersetzung geworben. Was er zur Integration anmerkte, mochte auch übertragen für die Debatte gelten. Möglichst alle sollten eine Chance haben. »Jeder soll sich aktiv einbringen, geben und nehmen, voneinander lernen.« Die eine allgemeingültige Antwort, so der Fraktionschef, werde das Gesetz aber nicht geben können.

Sein Amtskollege von der Linkspartei, Udo Wolf, warnte vorsorglich vor einer Überforderung des Gesetzes. Dieses werde schon vorab für Dinge kritisiert, die es gar nicht leisten könne. Die Versäumnisse von vier Jahrzehnten verfehlter Einwanderungspolitik ließen sich damit nicht überwinden. Es gehe darum, miteinander zu sprechen, es gehe »um einen Einstieg«.

Wie das gehen könnte, zeigten die anschließenden Gespräche der Teilnehmer zu zweit, in Grüppchen und Gruppen bis in den späten Abend.

www.berlin.de/lb/intmig/partizipationsgesetz_berlin.html

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