Rettung als Genossenschaft?

Ökotextil-Versandhaus Hess Natur lässt ungewöhnlichen Weg prüfen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Attac-Aktivisten und Betriebsrat des Ökotextil-Versandhauses Hess Natur Textilien GmbH wollen mit einem Genossenschaftsmodell den drohenden Verkauf an den US-Finanzinvestor und Rüstungskonzern Carlyle verhindern sowie die langfristige Zukunft des Unternehmens sichern.

Dass das globalisierungskritische Netzwerk Attac mit seinen Grundsätzen einer solidarischen Ökonomie in einem wichtigen Betrieb mit immerhin 340 Mitarbeitern auf Interesse stoßen würde, dürfte selbst einige der Aktivisten überrascht haben. Eine Kooperation nimmt jetzt Gestalt an. Aus der Hess Natur GmbH im mittelhessischen Butzbach soll baldmöglichst eine Genossenschaft werden, die vor dem Zugriff von Investoren geschützt ist.

Als Betriebsrat, Belegschaft und Attac-Aktivisten Anfang Dezember 2010 erfuhren, dass Hess Natur wie schon andere ehemalige Versandhäuser und Arcandor-Töchter an Carlyle veräußert werden soll, schrillten die Alarmglocken. Rasch fand man zueinander und war sich einig, dass die Übernahme durch eine »Heuschrecke« Rüstungskonzern für den florierenden Betrieb existenzgefährdend werden könnte. Schließlich ist der Betrieb ökologischen und sozialen Kriterien sowie fairen Handelsbeziehungen in der Modeindustrie verpflichtet. Die Kundschaft will umweltverträgliche Standards fördern und auch sicher sein, dass die Rohstoffe und Produkte nicht mit Kinderarbeit hergestellt wurden. Die Übernahme durch einen der größten Rüstungskonzerne der Welt könnte dem Betrieb schwer schaden und seinen Bestand auf Dauer gefährden, so die Meinung von Betriebsräten, Beschäftigten, Lieferanten, Kunden und Attac-Aktivisten.

Daraus wurde in der Vorweihnachtszeit eine öffentliche Kampagne, die starkes Echo und bereits Wirkung gezeitigt hat. Als Mitte Dezember Attac-Aktivisten bei winterlicher Witterung vor dem Firmensitz in Butzbach protestierten, schlossen sich viele Beschäftigte in der Mittagspause an. Rund 5000 Unterschriften gegen das »Ökomäntelchen für den Bombenbauer« und für einen Boykott bei Übernahme sind bisher eingegangen, weitaus mehr als erwartet.

Das starke Medienecho der letzten Wochen dürfte die Kauflust von Carlye deutlich gebremst haben, weil der Konzern auf seinen Ruf bedacht ist und negative Schlagzeilen scheut, ist der Betriebsratsvorsitzende Walter Strassheim-Weitz überzeugt. Die Unterschriften sollen im Februar öffentlichkeitswirksam übergeben werden. Auf großes Interesse ist das Engagement auch in Internetplattformen gestoßen. Der öffentliche Druck soll aufrecht erhalten werden, bis feststeht, dass weder Carlyle noch ein anderer Finanzinvestor zum Zuge kommt. »Eigentlich kann Carlyle sich jetzt nur noch zurückziehen. Der Schaden für Hess Natur wäre sonst zu groß«, meint Jutta Sundermann vom Attac-Koordinierungskreis. Gleichzeitig lässt der Betriebsrat seine wirtschaftlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten juristisch prüfen.

Weil als Kaufpreis für die Firma eine zweistellige Millionensumme veranschlagt wird, erscheint eine Übernahme des Betriebs allein durch die Belegschaft als zu teuer. Daher loten die Beteiligten nun im Detail ein Genossenschaftsmodell aus, bei dem Belegschaftsangehörige, Lieferanten, Kunden und weitere Interessenten Anteile zeichnen könnten. Ebenso analysieren sie mögliche juristische Fußangeln, um sich unangenehme Überraschungen zu ersparen. Dem Vernehmen nach kommt dabei die Neugründung einer Genossenschaft, die als Käufer fungiert, ebenso in Frage wie eine Umwandlung des bestehenden Betriebs in eine Genossenschaft, die alle bestehenden Verträge übernehmen würde. Zu den anstehenden Schritten gehört die Sammlung von Absichtserklärungen für den Beitritt in eine Genossenschaft ebenso wie die Einrichtung eines Treuhandkontos für die künftigen Anteile. Im Gegensatz zu Aktiengesellschaften hat bei Genossenschaften jeder Anteilszeichner unabhängig von der Höhe der Einlage nur eine Stimme. Damit wäre eine »feindliche Übernahme« von Hess Natur faktisch unmöglich. Aufschluss über den weiteren Weg soll eine Zusammenkunft von Betriebsräten, Attac-Aktivisten und Genossenschaftsexperten Ende nächster Woche in Frankfurt am Main bringen.

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