Besser leben, um die Welt zu retten

Frankreichs Wachstumskritiker wollen »savoir vivre« statt trockene Dinkel-Debatten

  • Susanne Götze, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Ökologie haben es die Franzosen nicht so. Dafür verstehen sie was vom »savoir vivre«, von feiner Lebensart. Wenn der französische Wachstumskritiker Serge Latouche die Wachstumskritik erklärt, dann geht das so: »Mich befriedigt es nicht, dass ich mir alle zwei Jahre einen neuen Drucker kaufen muss oder ständig meine Geräte updaten soll, damit sie noch kompatibel sind. Ich will das Geld lieber für einen guten Wein ausgeben – keinen Fabrikwein, sondern einen, der gut gelagert und gereift ist – und ihn mit meinen Freunden trinken.« Sein Motto: »fröhlich leben mit freiwilliger Mäßigkeit«. Trotz ihrer Marginalität und der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens bewahren die französischen Aktivisten einen Humor und eine Leichtigkeit, die der oft verbissenen deutschen Bewegung fehlt. Niemanden würde es in Frankreich einfallen, mit Verzicht zu werben.

Apropos werben: Während in Deutschland entscheidende Impulse der Wachstumskritik aus dem Öko-Spektrum kommen, spielen in Frankreich vor allem Antiwerbeaktivisten, die teils in der Tradition der Situationisten und Surrealisten stehen, eine wichtige Rolle. So wird das Journal »La Décroissance« (die Schrumpfung) von Vincent Cheynet geleitet – einem früheren Werbemanager, der ähnlich wie der Held in Frédéric Beigbeders autobiografischem Bestseller »39,90« seinen Job als Artdirector hinwarf und sich auf die andere Seite schlug. Während Beigbeder mit seinem Buch zum Medienstar wurde, verlegte sich Cheynet darauf, nach Alternativen zum verhassten System zu suchen. Schon 1999 gründete er die Vereinigung »Casseurs de pub« (Die Werbe-Randalierer), die für eine drastische Reduzierung der öffentlichen Werbung eintritt und vor allem auf zivilen Ungehorsam setzt. Vor einigen Jahren war es keine Seltenheit, dass sich in Paris spontan Menschen zusammenfanden, um die Werbeplakate einer Metrostation abzureißen oder zu übermalen. Cheynet gab sich mit der radikalen Kritik seines Metiers aber nicht zufrieden und gründete 2003 das Monatsblatt »La Décroissance – Journal der Lebensfreude«, das zum Dreh- und Angelpunkt der wachstumskritischen und »antiutilitaristischen« Szene geworden ist. Dem egozentrierten Nützlichkeitsprinzip setzen diese linken Aktivisten das Bild eines gemeinschaftlichen Alternativluxus entgegen: weniger Arbeit, weniger Stress, weniger Konsum. Es gehe nicht darum zu verzichten, sondern besser zu leben, um die Welt zu retten.

Was im ersten Moment paradox klingt, packen französische Wachstumskritiker gekonnt in den Slogan »weniger Güter, mehr Beziehungen«. Szene-Urgestein Paul Ariès, Politologie und Schriftsteller, erklärt das so: »Weniger Wachstum bedeutet für uns einen Anstieg der Humanität.« Statt zu konsumieren, sollten Netzwerke und menschliche Beziehungen – kurz das gemeinsame Zusammenleben – gestärkt werden. Ariès tritt seit Langem für eine Neubewertung eingefahrener Begriffe ein: »Verlangsamung statt Schnelllebigkeit, Kooperation statt Konkurrenz, Umsonst statt Vermarktung«. Er hat letzten April den »Contre-Grenelle-Kongress« unter dem Motto »Décroissance ou Barbarie« (Schrumpfung oder Barbarei) organisiert. Zum dritten Mal trafen sich dort entschlossene Wachstumskritiker, die nicht nur die Nase voll von Präsident Nicolas Sarkozy, sondern auch von der Grünen Partei haben. Die Wut gilt vor allem dem »Greenwashing« und der »Ökomaske« der französischen Politiker: Kurz nach seinem Amtsantritt 2007 berief Sarkozy eine Kommission aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Wissenschaftlern, um einen Katalog für ein neues Umweltgesetz aufzustellen. Das einst als »revolutionär« gefeierte Gesetzesprojekt namens »Grenelle« entpuppte sich in den Augen vieler Umweltschützer schon bald als Bluff, dessen zentrale Forderungen wie die Einführung der CO2-Steuer einfach gecancelt wurden.

Noch wütender als auf die Regierung sind die Wachstumskritiker auf »Eco-Tartuffe« (Öko-Betrüger) wie Nicolas Hulot – der Journalist und Politiker hat mit seinem Umweltengagement viel Geld angehäuft, ließ sich von großen Konzernen sponsern und hat sich nun sogar zum Präsidentschaftskandidaten gekürt. Dessen Idee eines »grünen Kapitalismus« erlaube keine ernsthafte ökologische Wende und missrate zum Hochglanzschlager zum Vorteil weniger, darüber sind sich die französischen Wachstumskritiker einig. Wachstum sei ein »Fetisch«, eine Ideologie, die in das kapitalistische System eingeschrieben sei, so der französische Ökonom Serge Latouche. Wie der Übergang in eine Postwachstumsgesellschaft aussehen soll, weiß allerdings auch der nicht: Zuallererst brauche es eine Revolution in den Köpfen. Da könnte man ja eigentlich mit Wein anfangen ...

Im nächsten Teil am kommenden Mittwoch wird sich ein Wachstumsbefürworter zur Wachstumskritik äußern.

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