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Puzzle aus sieben Perspektiven

Angeklagter, Verteidiger, Richter und Staatsanwälte wagen eine Rückschau

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Der Fall Modrow«, der nun zum Filmstoff geworden ist, wurde vor mehr als 15 Jahren in Dresden vor Gerichten verhandelt. Und hat, wie sich zeigt, nicht nur den Angeklagten wie Verteidiger, sondern auch Richter und Staatsanwälte nachhaltig beschäftigt.

Wahlfälschung und Meineid lauteten die Vorwürfe, mit denen der Hoffnungsträger und vorletzte Ministerpräsident der DDR 1993 bis 1996 konfrontiert worden war. Nachdem Hans Modrow in einem ersten Prozess verwarnt und mit einer Geldstrafe für die Fälschungen bei der Kommunalwahl am 7. Mai 1989 in Haftung genommen worden war, erschien dies dem Bundesgerichtshof zu milde – mit dem Ergebnis, dass er im letztinstanzlichen Wahlfälschungsprozess zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Die Vorwürfe wegen Meineids nach Modrows Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages bezüglich einer umstrittenen Sitzung der Dresdner Bezirkseinsatzkommission wurden vom Vorsitzenden Richter letztendlich als fahrlässig eingestuft.

Dass es sich bei den Verfahren nicht um normales Tagesgeschäft von Juristen handelte, wussten alle Beteiligten freilich. Und das nicht nur, weil Modrow regelmäßig in den Gerichtssaal von zahlreichen Anhängern mit roten Nelken begleitet wurde, die aus ihrem Vorwurf, hier finde Strafjustiz statt, kein Hehl machten. Das bekräftigt auch Modrow im Interview mit den Filmemachern. Allerdings durchaus differenziert. Im ersten Wahlfälschungsprozess habe er den Eindruck gehabt, nicht mit einer Vorverurteilung konfroniert zu sein – weshalb er die ausgesprochene Verwarnung akzeptiert habe. Bei der Neuauflage jedoch habe er von Anfang an gespürt, hier läuft »ein Prozess gegen den Klassenfeind.« Auch Verteidiger Friedrich Wolff sieht noch heute politisch motivierte Prozesse. Im Film gibt er zu Protokoll, man habe mit Modrow »einen Exponenten der PDS treffen« wollen, weil man eine starke PDS zu verhindern suchte.

Die anderen beteiligten Juristen sehen das freilich anders. Richter Thomas Spiegelhalter, der von seiner 68er Vergangenheit in der Bundesrepublik erzählt und einst Schuld und Sühne für die Aufarbeitung von Vergangenheit als ungeeignet empfand, jedoch nach dem Modrow-Prozess das Strafrecht doch durchaus für geeignet hält, bestreitet vehement politische Vorgaben. Staatsanwalt Martin Uebele, der nach Sachsen zugereiste Baden-Württemberger, bekennt freimütig vor der Kamera, dass er unter DDR-Verhältnissen womöglich auch ein »systemnaher Mensch« geworden wäre, verweist auf Dutzende Verurteilungen wegen Wahlfälschung unterer SED-Funktionsträger und lässt seine Abneigung spüren, »die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen«. Richter Rainer Lips, der sich im Osten den Traum vom Auslandseinsatz erfüllte, bekennt, Hans Modrow als »geradlinig bewundert«, wenn auch später im Prozess als »starr und angestaubt« erlebt zu haben. Für den ebenfalls aus der Altbundesrepublik nach Dresden zugereisten Staatsanwalt Helmut Renz schließlich – der einräumt: »Wir konnten keine historische Aufarbeitung leisten« – war der Meineidprozess »ein ganz normaler Falschaussageprozess«.

Das muss der Richter in gerade jenem letzten Verfahren doch etwas anders empfunden haben. Jedenfalls ist Modrows Verteidiger Wolff, der Hans-Peter Kotyrba wegen dessen Bemühungen um »objektive rechtsstaatliche Behandlung« lobt, dessen mündliche Begründung nicht nur lebhaft in Erinnerung, sondern auch Beleg für seinen Vorwurf der politischen Motivation. »Berge kreißten und eine Maus wurde geboren. Ich habe nicht zu verantworten, dass diese Verhandlung stattgefunden hat«, hatte der im Westen durch die Wiederbewaffnung politisierte Kotyrba zum Abschluss des Meineidprozesses zu Protokoll gegeben.

Normalerweise sollen Richter nur durch ihre Urteile sprechen und ansonsten schweigen. Im Fall Modrow ist das anders, werben die Macher des von der Humanistischen Union, der Gustav-Heinemann-Initiative, der Landeszentrale für Politische Bildung Brandenburg und der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderten Filmes. Entstanden ist ein Puzzle aus sieben Positionen, das Auskunft darüber gibt, wie die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch die bundesdeutsche Justiz funktionierte. Oder eben eher nicht.

Der Film kann bestellt werden bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Landeszentrale für Politische Bildung in Potsdam oder der Berliner Geschäftsstelle der Humanistischen Union

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