Wie viel Antifaschismus ist erlaubt?

Streit um linke Gewalt anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2010

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Verfassungsschutzbericht weist einen Rückgang links- und rechtsextremer Gewalt aus. Die Opferberatung Sachsen-Anhalt kritisiert die Statistik.

Die Bundesrepublik Deutschland müsse gegenüber jeglichem Extremismus wachsam sein. Dies stellte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seinem Vortrag zum Verfassungsschutzbericht 2010 voran. Anschließend nahm die Diskussion um Gefahren, ausgehend von »gewaltbereiten Linksextremisten« und insbesondere von Autonomen, Fahrt auf.

Im vergangenen Jahr sind die Straftaten mit »linksextremistischem« Hintergrund nach Angaben des Bundeskriminalamts um 20,8 Prozent auf 3747 gesunken. Davon wurden ebenso rückläufige 944 Gewalttaten gezählt. Der Innenminister verwies allerdings – ohne valide Aussagen für 2011 treffen zu wollen – auf einen enormen Anstieg linker Straftaten in den letzten Monaten. Die Erkenntnisse des Berichts, den er soeben vorstellte, seien »keine Wende, sondern eine Ausnahme«. Brennende Autos und die Überfälle auf Nazis in Berlin in der vergangenen Woche seien Beispiele dafür. »Wir haben durchaus die Gefahr einer Gewaltspirale«, konstatierte Friedrich und verwies auf eine erhebliche Belastung für die Polizeikräfte. Die antifaschistischen Proteste gegen zunehmende Aufmärsche von Neonazis, gegen Atomkraft und die Räumung von Wohnprojekten, bei denen viele der als Gewalttaten eingeordneten Landfriedensbrüche, Widerstandsdelikte und Angriffe auf Polizisten, in den letzten Monaten verübt wurden, nannte Friedrich nicht. Die Äußerungen des Innenministers von Niedersachsen, Uwe Schünemann (CDU), Deutschland stehe womöglich »ein neuer Linksterrorismus« bevor, kommentierte er bejahend: »Wenn der Trend so anhält, muss man Sorge haben, dass er Recht behält.«

Friedrich rechtfertigte die fortwährende Beobachtung der LINKEN. In der Partei würden sich Kräfte sammeln, die die Veränderung der freiheitlich demokratischen Grundordnung anstreben. Katja Kipping, stellvertretende Vorsitzende der LINKEN, sieht darin eine »Instrumentalisierung der Schlapphüte für parteipolitische Zwecke« und forderte die Eingrenzung der Befugnisse des Verfassungsschutzes (VS).

Wie in den vergangenen Tagen bereits berichtet wurde, sind nach Angaben des VS auch die »rechtsextremistisch motivierten« Straftaten gesunken. Von 15 905 Gewalttaten wurden bundesweit 762 Gewaltdelikte gezählt. In den neuen Bundesländern hat die Zahl von 290 auf 304 Gewalttaten entgegen dem Bundestrend jedoch zugenommen. Die Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt, das im Länderranking mit 2,84 rechtsextremen Gewalttaten je 100 000 Einwohner an der Spitze liegt, hat sogar noch mehr politisch rechte und rassistische Gewalt registriert. »Wir dokumentieren auch Gewaltstraftaten, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Zudem werden einige Taten trotz eindeutiger Hinweise von den Behörden nicht als rechts motiviert eingestuft«, sagte eine Sprecherin. Ihre Organisation geht davon aus, dass auch in den westdeutschen Ländern mehr rechts motivierte Gewalt existiert, als die offiziellen Zahlen erkennen lassen.

Angesichts des Berichts sprach sich die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, für den Ausbau von Bundesprogrammen für Demokratieförderung aus. Sie müssten »erhalten und ausgebaut werden, nicht gestrichen und gekürzt, um die Akteure zu gängeln«. Die beste Prävention sei laut der Mobilen Opferberatung jedoch die Unterstützung nicht-rechter und alternativer Jugendkultur. Kommentar Seite 8

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