Niedersachsen soll Tötungsdelikte neu untersuchen

Keine politische Motivation bei sechs Bluttaten? Linksfraktion stellt kleine Anfrage

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach welchen Kriterien werden Tötungsdelikte mit rechtsradikalem Hintergrund in amtlichen Statistiken aufgenommen? Dies will die niedersächsische Linksfraktion wissen und hat dazu eine Anfrage an die Landesregierung gerichtet.
Zumindest das bedarf keiner weiteren Nachfrage.
Zumindest das bedarf keiner weiteren Nachfrage.

»Die jetzt bekannt gewordene neonazistische Terrorserie muss Anlass sein, noch einmal die Hintergründe von Mordtaten aufzuklären, die bisher nicht den Neonazis zugeordnet wurden«, sagt die innenpolitische Sprecherin der niedersächsischen Linksfraktion, Pia Zimmermann. Sie verweist auf Zeitungsberichte, in denen von bis zu 182 Toten durch Nazigewalt seit 1990 die Rede ist. Die Zahlen der Polizeistatistiken liegen meist weit darunter. Bei den Recherchen der Journalisten, so Zimmermann, seien auch Tötungsdelikte aufgetaucht, die in Niedersachsen begangen, aber nicht in der Statistik rechter Gewalttaten erfasst worden seien.

Konkret geht es um sechs Fälle - beispielsweise in der Silvesternacht 1990, als bei Göttingen ein 21 Jahre junger Bundeswehrsoldat von zwei rechte Skinheads niedergestochen wurde und seinen Verletzungen erlag. Die beiden Täter waren Mitglieder der neonazistischen »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei«. Der eine wurde wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, sein Komplize zu vier Wochen Jugendarrest. »Wird dieses Geschehen als politisch rechts motivierte Straftat erfasst - und falls nein, wie begründet das die Landesregierung?« Diese Frage stellt die LINKE auch zu fünf weiteren aufgeführten Tötungsdelikten.

Zu ihnen zählt der Angriff, bei dem 1991 im Mai 15 Skinheads bei Gifhorn einen 23-Jährigen so bedrängten, dass er auf eine Bundesstraße geriet und von einem Auto angefahren wurde. Der Mann erlitt schwerste Hirnverletzungen und starb. Einer der Skins erhielt wegen fahrlässiger Tötung zwei Jahre Freiheitsstrafe. Das Gericht ging davon aus, der Gejagte sei vor das Auto gelaufen. Augenzeugen hatten jedoch berichtet, so ist in der Anfrage der Linksfraktion zu lesen, dass der Flüchtende auf die Straße gestoßen worden sei.

Das dritte Delikt wurde ebenfalls nahe Gifhorn verübt. Im benachbarten Kästorf erstach ein Jugendlicher im Juni 1991 einen 39-jährigen Obdachlosen. Der Täter bewertete sein Opfer als »Abschaum«, gehörte nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums der Skinheadszene an. Er musste wegen Totschlags sechs Jahre ins Jugendgefängnis. Einen rechten Hintergrund sah das Gericht nicht.

Auch bei zwei anderen Fällen war ein Messer im Spiel. Im Dezember 1993 beispielsweise erstach ein Mann (54) im Zug von Hamburg nach Buchholz einen 19-jährigen Gambier. Der Angeklagte argumentierte, er habe sich durch den jungen Mann »gestört gefühlt«. Das Messer habe er sich zugelegt, um sich »gegen derartige Leute zu verteidigen«. Das Urteil fiel milde aus: zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen »Totschlags in einem mittelschweren Fall«. Ausländerhass sei als Tatmotiv auszuschließen, meinten die Richter. Und das, obwohl Kollegen des Getöteten bestätigten. dass der Messerstecher den Schwarzafrikaner schon vor der Tat mit Worten wie »Teerpappe« und »Bimbo« beleidigt hatte. »Wir sind es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, diese Fälle neu aufzurollen und zu bewerten«, betont Zimmermann. Beantwortet haben möchte sie auch die Frage, wie viele und welche Tötungsdelikte in Niedersachsen seit 1990 als politisch rechts motivierte Straftaten verübt wurden - und auch, welche Urteile den Taten folgten.

Mit der Frage nach der Zahl entsprechender Taten wandte sich »nd« an das niedersächsische Innenministerium. Ein Sprecher aus dem Haus von Uwe Schünemann (CDU) sagte: Seit 1990 habe es in Niedersachsen zwei politisch rechts motivierte Tötungsdelikte gegeben: den Fall in Uelzen, wo ein Skin seinen Kumpel erstach, und die an dem Gambier im Zug begangene Bluttat. Dass sich die Linksfraktion mit einer solchen Auskunft zufrieden gibt, darf bezweifelt werden.

Zufriedener blicken die LINKEN in der Hamburger Bürgerschaft auf ihre Innenbehörde. Diese hat laut aktueller Mitteilung der Fraktion »endlich« das Waffengesetz gegen Rechtsradikale angewandt und in einem ersten Schritt zehn Männern aus dem rechten Spektrum die Erlaubnis, Waffen zu führen, entzogen. Laut Bundesverwaltungsgericht ist unzuverlässig im Sinne des Waffengesetzes, wer verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt.

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