Wenn die »unten« nach unten treten

Rechtsextremismus: Ein braunes Erbe der SED-Diktatur?

Nein, im Osten ist nicht alles schlimmer.« Diese nicht alltägliche Feststellung traf Beate Küpper von der Universität Bielefeld. Die Morde der sogenannten Zwickauer Terrorzelle - die mit Zwickau wenig zu tun hat, außer, dass sie dort unterkroch -, hat auch die Bundesstiftung Aufarbeitung aufgeschreckt.
Wenn die »unten« nach unten treten

Woher rühren rechtsextreme Einstellungen und rechtsextreme Gewalt? Die Aufarbeiter-Truppe des Rainer Eppelmann lud in ihr Domizil in Berlin unter der - nicht überraschend - suggestiven Frage: »Rechtsextremismus: Das braune Erbe der SED-Diktatur?« Diese nun wäre zu verneinen, will man den Befunden der Wissenschaftler vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Glauben schenken.

In dem von Beate Küpper vorgestellten interdisziplinären Projekt bemühen sich seit über zehn Jahren Politologen, Psychologen, Soziologen, Historiker, Pädagogen und Kriminalisten um Antworten. Die Ergebnisse ihrer Analysen und Umfragen erscheinen jährlich, seit 2002, im Suhrkamp-Verlag. Wer die Publikationsreihe »Deutsche Zustände« zur Kenntnis genommen hat, dürfte also nicht erst jetzt aufgewacht und aufgeschreckt, besorgt und beschämt sein. Hasskriminalität und rechtsextreme Gewalttaten sowie Wahlerfolge rechter Partei sind nur die Spitze des Eisberges. Das braune Gewässer in den Untiefen wird kaum ausgelotet. Rechtspopulismus und fremdenfeindliche Einstellung in der Bevölkerung werden kaum wahrgenommen, geschweige ernst genommen. Man schaut nicht näher hin, eher weg.

In ihre Kritik schloss die Bielefelder Professorin die Medien ein, die mit ihrem Hang zu pauschalen, plakativen Bildern - alle Muslima sind Kopftuchträgerinnen - Klischees und Vorurteile befördern. Urteile werden festgezurrt, Menschen, die fremd oder anders anmuten, einer sozialen Gruppe zugewiesen, egal, ob jene sich selbst dieser zugehörig fühlen. Und ist das Etikett erst einmal aufgeklebt, wird der Mensch mit der ihm zugewiesenen Gruppe in Haftung genommen: »der Jude« für die Okkupations- und Siedlungspolitik der israelischen Regierung oder »der Muslim« für islamistischen Terror.

»Die humanistische und demokratische Gesellschaft bemisst sich am Umgang mit schwachen Gruppen«, mahnte Küpper. Dies beginnt in der Familie und endet nicht bei den Institutionen. Verurteilte Gewalttäter verwiesen immer wieder darauf, im Glauben gehandelt zu haben, nur das umzusetzen, was auch die breite Bevölkerung denke, sich jedoch nicht zu tun getraue. Im Osten sind die Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit etwas höher als im Westen. Während 44,5 Prozent der Westdeutschen meinen, es lebten zu viele Ausländer in Deutschland, bejahten diese Frage 59 Prozent der Ostdeutschen. Dieser relative Unterschied gebe keinen Anlass zur Entwarnung in den alten Bundesländern, betonte die Professorin und sprach: »Manches im Osten ist sogar besser.« Sexismus sei weniger ausgeprägt, die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft sei im Osten anerkannt. Hinsichtlich Islamophobie, Antisemitismus und Homophobie sind hingegen keine generellen Unterschiede zwischen Ost und West auszumachen. Das war mal anders. Antisemitismus, so Beate Küpper, war vor 20 Jahren in Ostdeutschland wesentlich geringer ausgeprägt, habe erst in den letzten zehn Jahren zugenommen und sei nun in West wie Ost annähernd gleich. Ergo: Die »SED-Diktatur« ist für Judenfeindschaft heute nicht verantwortlich zu machen.

Was natürlich nicht bedeutet, dass es nicht auch in der DDR antijüdische Ressentiments und Neonazis gegeben hat. Beklemmend die Erinnerung von Bernd Wagner, Gründer der Aussteigerinitiative Exit, an seine Zeit als Polizeischüler in der DDR 1974: Vorgesetzte unterer Ränge hätten sich gegenseitig mit SS-Dienstgraden angeredet und als »wehrunwürdig« oder »schwul« ausgemachte Polizeianwärter verprügelt; dem braunen Spuk setzte der Militärstaatsanwalt ein Ende. Erst 1985 habe eine »Vertrauliche Verschlusssache« auf neonazistische Ideologie und Straftaten am Rande von Volksfesten, Fußballspielen, Rockkonzerten oder am »Tag der Republik« problematisiert. Wie Beate Küpper nicht in der DDR-Sozialisation die Wurzel heutigen Rechtsextremismus sieht, so will auch Wagner nicht von einem am DDR-System gebundenen »Phänomen« sprechen. In den 80er Jahren habe man eine parallele Entwicklung in beiden deutschen Staaten beobachtet; mit einer neuen Jugendkultur wuchsen junge Neonazis heran, die über die Grenzen hinweg Kontakte hielten. West- und ostdeutsche, ungarische und tschechische Rechtsradikale trafen sich am Balaton oder in Prag, Westberliner kamen nach Ostberlin, um mit dortigen Kumpanen Krawalle zu initiieren.

Nach dem Mauerfall fielen die neonazistischen Kolonnen von Michael Kühnen in die DDR ein. Auf die bedrohliche gesamtdeutsche Vereinigung west- und ostdeutscher Nazis hatte Wagner das Bundeskriminalamt bereits 1989 aufmerksam gemacht: »Aber man wurde nicht ernst genommen, das war frustrierend.« Für den Historiker Patrice G. Poutrus ist dies nicht verwunderlich, hatte doch keine deutsche Institution so viele Gestapo- und SS-Leute in ihren Diensten wie das BKA. Seine Bemerkung wäre zu ergänzen: West- Institutionen übernahmen den Osten. Welcher Geist zog da mit ein? Der Lehrbeauftragte von der Universität Halle-Wittenberg erinnerte an die zahlreichen antisemitischen Ausschreitungen und Angriffe auf jüdische Gemeindehäuser, Synagogen und Friedhöfe in den 50er Jahren in der Bundesrepublik. Damit wolle er freilich nicht die »SED-Diktatur« von Verantwortung freisprechen; sein Buch »Fremd und Fremdsein in der DDR« (2003), so Poutrus, »war Ergebnis eines Wutanfalls« auf Grund solcher »Verharmlosungen«. Dem Kern des »Phänomens« kam letztlich Beate Küpper am nächsten: Fremdenfeindlichkeit speist sich aus einer Ideologie der Ungleichheit. Ostdeutsche fühlen sich im vereinten Deutschland als Bürger zweiter Klasse. Ihren Frust adressieren sie jedoch nicht an die »Brüder und Schwestern« im Westen, denn: »Wir alle sind Deutsche!« Enttäuschung wird abgewälzt auf Ausländer, Sinti und Roma, Muslime und Juden, auf Minderheiten. Die noch weiter unten sind, sollen unten bleiben. Wer nach unten treten kann, kann sich erhöht fühlen. Das kennen wir doch? Aus deutscher Geschichte.

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