»Wir wollen sie nicht«

Wütende Bürger gegen Wohnprojekt für psychisch kranke Straftäter in Weißensee

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.
Hier sollen die ehemaligen Straftäter einziehen.
Hier sollen die ehemaligen Straftäter einziehen.

Viele Bürger hatten auf der Bühne Platz nehmen müssen. Die Aula der Grundschule am Weißen See war Montagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Bezirk und gemeinnützige Zeitraum gGmbh hatten zu einer Anwohnerinformation geladen: In ein seit Jahren leer stehendes ehemaliges Gefängnis an der Großen Seestraße soll ein therapeutisches Wohnprojekt für psychisch kranke Straftäter ziehen. Das sorgt seit Wochen für Aufruhr in dem bürgerlich geprägten Kiez mit großzügigen Viergeschossern, dem idyllischen Weißen See und viel Grün.

Ende 2012 sollen 20 Apartments für ehemalige Straftäter entstehen, die aus dem Maßregelvollzug entlassen werden können, weil von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht, die auf ein selbstständiges Leben aber noch vorbereitet werden müssen. So die Pläne.

»Unsere Bewohner haben bereits im Maßregelvollzug beanstandungsfrei begleitete und unbegleitete Ausgänge absolviert, sonst kämen sie für dieses Projekt nicht infrage«, erläuterte der ärztliche Leiter Rolf Bayerl. Totschläger, Sexualstraftäter und Wiederholungstäter seien nicht für das Wohnprojekt vorgesehen. Hingegen Menschen, die im schuldunfähigen Stadium einen Raub, eine Brandstiftung oder Körperverletzungen verübt haben.

»Familienkiez in Angst« und »Wer schützt unsere Kinder?« hatten Bürger auf Transparente geschrieben, die sie mit in die Schulaula brachten. Die Stimmung unter den knapp 400 Anwohnern war aufgeheizt und drohte zwischenzeitlich zu explodieren. Weder der Moderator der Zeitraum gGmbH noch die Saaltechnik waren der Situation irgendwo zwischen Stammtisch und Verwaltungsrecht gewachsen.

Einer der Kritikpunkte: Weder die Behörden noch der Bauherr haben die Anwohner über das Vorhaben informiert. Das haben Anwohner durch Internetrecherchen selbst getan. »Erst werden Tatsachen geschaffen, dann diskutieren Sie. Das ist die mieseste Art.« Oder: »Haben Sie Alternativstandorte geprüft? Warum kommen die Leute hierher, wo so viele Kitas und Schulen sind?«

Und es gab gleich noch Standortvorschläge: Nach Buch, wo nicht so viele Leute wohnen, oder gleich nach Brandenburg, »wo sie mit Tieren spielen können«. Das war kein Stammtisch, das war ernst gemeint. Ein Vertreter der Landesregierung wandte ein, dass es sich um Berliner handelt und Berlin ihnen gegenüber genauso eine Aufgabe habe wie gegenüber jedem Bürger.

Eine frühzeitigere Bürgerinformation hätte an der Ablehnung vieler Weißenseer wohl nicht viel geändert. Die Abwehr gegen die Bewohner war sehr grundsätzlich. »Wir wollen sie nicht«, brachte es eine ältere Frau mit vor Aufregung rotem Gesicht auf den Punkt. Und ein Mann: »Seit 20 Jahren höre ich von Freigängern, denen Psychologen eine Ungefährlichkeit bescheinigt haben und die trotzdem Kinder schänden.« Eine Mutter von zwei Kindern drohte sogar: »Wenn einer dieser Menschen einem Kind auch nur ein Haar krümmt, dann nehme ich die Verantwortlichen für das Projekt in Haftung. Und den Bewohner nehme ich mir so vor, dass er kein therapeutisches Wohnprojekt mehr braucht.« Ein Rentner explodierte: »In Weißensee gibt es jetzt so viele mongoloide Kinder und Kampfradfahrer. Wo soll das noch hinführen?« Das brachte ihm immerhin einige Kontras aus dem Saal.

Auch die Kosten von 1,8 Millionen für 20 Apartments (»Apartments och noch, dit is ja wie Luxushotel«) standen in der Kritik. »Für vernünftige Schulklos für unsere Kinder fehlt das Geld. Aber für psychisch kranke Straftäter ist Geld da.« Sehr populär war die Rücktrittsforderung an Gesundheitsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD). Sie hatte die Standortfrage nicht zu verantworten, war aber die einzige Politikerin im Saal.

Ganz zum Schluss trat eine 70-jährige Frau ans Mikro. »Ich bin heute traurig über mein Weißensee, in dem ich seit 60 Jahren wohne«, sagte sie zu den Stimmungen im Saal. Ihr fehle das Mitgefühl - und eine Begründung, warum andere Bezirke mit größeren sozialen Problemen die Therapie dieser Bewohner auch noch bewältigen sollen und eben nicht Weißensee. Die Frau wurde ausgepfiffen. »Die hat ja einen an der Waffel«, empörten sich Gäste.

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