Die wahre Zumutung

Tom Strohschneider über die ausbleibende Angleichung der Renten in Ost und West

  • Lesedauer: 3 Min.
Je länger die demoskopische Schwäche der Liberalen anhält, desto kraftmeierischer tritt die Partei gegenüber dem Regierungspartner auf. Wie nun auch beim Thema Rente: Die Senkung des Beitragssatzes sei »für uns in dieser Koalition nicht verhandelbar«, drohte FDP-General Patrick Döring. Wenn Angela Merkel den Beschäftigten eine Entlastung verweigere, sei das »schlicht eine Zumutung«.

Der Versuch der Liberalen, sich bei dem Thema einen sozialen Anstrich zu geben, ist natürlich grotesk. Erstens hat die Kanzlerin sich für die Senkung der Beiträge ausgesprochen. Zweitens sind die schon ausführlich beschriebenen Folgen einer Beitragssenkung alles andere als sozial: Sie bringt den Durchschnittsverdienern nichts und gefährdet die ohnehin prekäre Zukunft der gesetzlichen Rente. Geradezu lächerlich wird Döhrings Ultimatum, wenn man sich drittens vor Augen führt, für wie »verhandelbar« der FDP offenbar andere rentenpolitische Fragen sind. Zum Beispiel die Ostrenten.

Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag heißt es dazu ziemlich unmissverständlich: »Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.« Dass CDU, CSU und FDP diesem selbst gesteckten Ziel bis zum Herbst 2013 tatsächlich noch näher kommen, glaubt aber niemand mehr. Linken-Chef Bernd Riexinger hat der Regierung deshalb jetzt Wahlbetrug vorgeworfen. Und auch Sozialdemokraten und Grüne haben immer mal wieder versucht, eine Angleichung im System der Altersbezüge auf die Agenda zu setzen. Vergeblich.

Zwar hat die Bundesregierung mehrfach in den vergangenen Jahren erklärt, alsbald ein Konzept vorlegen zu wollen. Dies aber ebenso oft mit dem Hinweis unterlaufen, die Angelegenheit sei schwierig und die Prüfung der möglichen Umsetzungswege noch nicht abgeschlossen. Dass es wirklich, wie von der Regierung gern behauptet, an der Komplexität der Materie liegt, wenn mehr als 20 Jahre nach der Wende immer noch eine rentenpolitische Demarkationslinie durchs Land verläuft, ist indes kaum zu glauben. Nicht nur, weil auch anderes in der Politik kompliziert ist – und trotzdem angegangen wird. Sondern weil im Fall der Renten in Ost und West längst eine ganze Reihe von durchgerechneten Plänen vorgelegt wurden – von SPD, Grünen und Linkspartei zum Beispiel. Und zuletzt von einem Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaften.

Man erinnert sich übrigens nicht daran, dass die Liberalen in dieser Frage auch einmal ihrem Regierungspartner ein Ultimatum gesetzt hätten. Obgleich die immer noch unterschiedliche Behandlung von Biografien in Fragen der Altersbezüge doch weit mehr eine »Zumutung« sind, als es das Ausbleiben einer Minibeitragssenkung mit ungewissem Ausgang je sein könnte. Jedenfalls für die Mehrheit der lohnabhängigen Bevölkerung. Doch um die geht es der Koalition nicht, selbst wenn anderes im Koalitionsvertrag von Union und FDP steht.

Der ist in Wahrheit nicht mehr als eine Absichtserklärung. Eine Angleichung der Renten in Ost und West kann nur eine andere politische Mehrheit durchsetzen. Die müsste sich das dann übrigens nicht in irgendeine Koalitionsvereinbarung schreiben. Sie müsste nur endlich den Einigungsvertrag umsetzen. In diesen wurde vor 22 Jahre die »Zielsetzung« hineinformuliert, »mit der Angleichung der Löhne und Gehälter« an diejenigen in den alten Bundesländern »auch eine Angleichung der Renten zu verwirklichen«. Noch immer steht beides aus.

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