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Schöne neue Startup-Welt

Beim Technologie-Festival Campus Party in Berlin suchten 10 000 Enthusiasten nach digitalen und beruflichen Perspektiven

  • Uwe Sievers
  • Lesedauer: 5 Min.
Sechs Tage füllten 10 000 Entwickler, Bastler und Technikfreaks aus über 60 Ländern die Hallen des historischen Flughafens Berlin-Tempelhof. Wirtschaft und Politik waren auf der Campus Party Europe auch dabei.

Es riecht nach Kerosin. Geschickte Hände zerlegen Roboter und verpacken Computer in zahllosen Kartons. Gabelstapler verladen große Kisten in Container. Die Party ist zu Ende. Schier endlose Kabel werden aufgerollt - 27 Kilometer Glasfaserkabel und Dutzende Kilometer Kupferkabel seien verlegt worden, heißt es. Aber mit den Zahlen nimmt es der Veranstalter, die spanische Firma Futura Networks, nicht so genau, sie variieren von Meldung zu Meldung.

Hämmernde, scheppernde Geräusche hallen durch die riesigen Hangars. Die schwierige Akustik beeinträchtigte auch die Veranstaltung; viele Redner waren nur schwer zu verstehen. Trotzdem waren die Campuseros, wie die Teilnehmenden genannt wurden, begeistert von der Atmosphäre und dem Panorama übers Flughafenareal. Angereiste konnten auf dem Gelände übernachten: Der Veranstalter hatten 3000 Igluzelte aufbauen lassen, dicht an dicht verteilt über sechs Hangars.

Allgegenwärtiger Hauptsponsor

Technik stand im Mittelpunkt des Festivals, insbesondere das mobile Internet. Mehr als 450 Redner lieferten parallel auf neun Bühnen ein vielfältiges Angebot an Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden. Sie vermittelten unter anderem Know-how zur Entwicklung von Apps für Smartphones und andere mobile Geräte. Diskutiert wurde über Unternehmertum und Startup-Gründung. Fans von Computerspielen konnten um Preisgelder spielen, Roboter zeigten Kunststücke und Hardware-Bastler beschäftigten sich mit der Ästhetik von Computergehäusen, dem sogenannten Case Modding. Zum Festival gehörten auch Musik, Design, Biotechnologie und Astronomie.

Stars des Treffens waren Redner wie der Schriftsteller Paolo Coelho und der Web-Erfinder Tim Berners-Lee, der sich für ein offenes Internet einsetzte und in der anwesenden Technikergemeinde eine Hoffnung für die Zukunft sah. Oder Don Tapscott, der die Festivalteilnehmer aus der ganzen Welt als globale Generation bezeichnete. Nur rund fünf Prozent von ihnen waren älter als 40, knapp ein Drittel Frauen; der Altersdurchschnitt lag laut Veranstalter zwischen 18 und 25. »Manche sind zum ersten Mal von ihren Eltern weg«, kommentierte ein Sprecher. Viele Teilnehmer kannten sich zwar über das Internet, sind sich aber noch nie persönlich begegnet. Zum Kennenlernen kam das Lernen: Das Festival kombiniert Wissensvermittlung mit Unterhaltung.

In der Tat war das Publikum bunt gemischt. Hans Peder Sahl ist 24. »Ich bin hier, um die Computergehäuse zu zeigen, die ich gebaut habe«, sagte der Däne und zeigte auf seine farbig leuchtenden Kreationen. Ofir Leitner aus Tel Aviv bezeichnet sich als leidenschaftlichen Gründer. »Ich möchte Entwickler, Investoren und Startups zusammenbringen«, erzählte der 32-jährige. Die 23-jährige Melanie Lang aus Stuttgart studiert Philosophie und ist Praktikantin bei einer Firma für Webdesign. »Die haben mich hierher geschickt.« sagte sie. »Die Leute hier sind toll, man kann hier so viele interessante Menschen treffen.«

Bereits 1997 wurde die erste Campus Party von drei Spaniern organisiert und hat sich neben Spanien in Lateinamerika verbreitet. Hinter der Veranstaltung stehen potente Geldgeber: Hauptsponsor ist der spanische Telefonnetzbetreiber Telefonica, der in Deutschland unlängst O2 sowie die Marke Alice übernahm. Telefonica war omnipräsent; mehrere Vorträge wurden von Konzernmitarbeitern angeboten, an Ständen wurden Produkte vorgeführt, Kontakte zu Entwicklertalenten gesucht, Wettbewerbe für die Programmierung von Apps veranstaltet und Gründerideen prämiert. So allgegenwärtig der Netzbetreiber war, so ungern lässt er sich in die Karten schauen: Zur Höhe des Sponsorings wollte eine Sprecherin keine Auskunft geben.

Die Veranstalter erhielten nicht nur Unterstützung durch die Wirtschaft, sondern auch von der Politik. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) kam ebenso zur Eröffnung wie Berlins parteilose Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz. Per Video war der Präsident der EU Kommission, Jose Manuel Barroso, zugeschaltet. Und EU-Kommissarin Neelie Kroes reiste selbst an.

In Kooperation mit der EU-Kommission hatte der Veranstalter dazu aufgerufen, Ideen für diese »Digitale Agenda« einzureichen. Tausende Vorschläge wurden über den Kurznachrichtendienst Twitter mitgeteilt, Ideengeber eingeladen, von denen einige Ausgewählte mit Kroes diskutierten. Was passiert mit den Anregungen? Man werde sie lesen, meinte Kroes. Alles andere blieb offen. Kroes forderte junge Talente auf, Startup-Unternehmen zu gründen. Die Jugendarbeitslosigkeit sei ein Hauptproblem in der EU und Unternehmergeist ein wichtiger Baustein für Europas Wirtschaft.

Unternehmer aus Verzweiflung?

Startups als Lösung? Unternehmer werden aus Verzweiflung? Der Staatssekretär im Berliner Wirtschaftssenat Nicolas Zimmer (CDU) sprach von der Campus Party als »Treffpunkt der Gründer aus aller Welt«, von der er sich neue Firmen erhoffe. Berlin sei »Startup-Hotspot« Deutschlands. Aber Berlin ist zugleich Hartz-IV-Hotspot - viele Jobs in der Gründerszene gehen mit prekären Arbeitsbedingungen einher und können den Menschen kein Auskommen sichern - das gelingt oft nicht einmal den Gründern selbst. Diese Bedingungen werden am ehesten von jungen Leuten akzeptiert, was die Begeisterung für die Unternehmervorträge und -workshops auf dem Festival erklären mag.

Aufbruch habe etwas mit Lebensalter zu tun, meinte Günter Faltin im Gespräch mit dem »nd«. Faltin, Professor an der Freien Universität Berlin und Autor des Buches »Kopf schlägt Kapital«, war auf der Campus Party mit seinem Projekt Gründergarage vertreten, das vom Internetriesen Google unterstützt wird und sich der Förderung von Startup-Ideen widmet. In den 80er Jahren wurde Faltin mit der Teekampagne berühmt, die hochwertigen Tee in Großpackungen günstig anbieten konnte und auf fairen Handel setzte. Das Projekt war so erfolgreich, dass ihm große Tee-Importeure erst den Kampf ansagten, dann sein Konzept kopierten. Nun will Faltin eine »Kampagne für intelligente Waschmittel« starten. Unternehmensgründungen müssen ja nicht immer digital sein.

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