Der Fall Olaolu Femi

Fragwürdige Mordversuchsanklage gegen nigerianischen Studenten in der Ukraine

In der Ukraine ist der nigerianische Student Olaolu Femi wegen versuchten Mordes und Rowdytums angeklagt. Er sagt, er habe sich nur gegen einen rassistischen Übergriff gewehrt. Die Staatsanwaltschaft aber fordert lebenslänglich. Am 13. Dezember könnte ein Urteil fallen.

Seit über einem Jahr sitzt Olaolu Sunkanmi Femi in einem ukrainischen Untersuchungsgefängnis. Der nigerianische Medizinstudent, der 2007 in die Ukraine kam, war am Abend des 4. November 2011 im ostukrainischen Lugansk zusammen mit einem Freund per Taxi zu einem Kommilitonen gefahren. Zu später Stunde schien ihnen der Weg zu Fuß nicht ungefährlich, denn schon am 1. November hatte es in Lugansk Übergriffe gegen Ausländer gegeben.

Am Ziel ihrer Fahrt bewahrheiteten sich ihre Befürchtungen. Eine Gruppe alkoholisierter einheimischer Jugendlicher beschimpfte die beiden als Affen, die sich nach Hause scheren sollten. Die Afrikaner blieben die Antwort nicht schuldig, doch die Einheimischen beließen es nicht bei verbalen Erniedrigungen: Femis Freund Eniola Sudadi wurde niedergeschlagen, er selbst wehrte sich mit einer abgebrochenen Flasche. Drei der fünf Angreifer trugen Schnittwunden davon, die offiziell als »leicht und ungefährlich« eingestuft wurden. Doch einen Tag später wurde Femi verhaftet und wegen versuchten Mordes und Hooliganismus angeklagt.

Er hätte sich spontan - gleichsam aus blinder Gewaltsucht - entschlossen, auf die Jugendlichen einzuschlagen und mindestens einen von ihnen zu töten, behauptet die Anklage. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter des Prozesses sehen den Vorwurf als konstruiert an.

Die ukrainische Polizei registriert äußert selten Fälle von Hassverbrechen an Ausländern, weil es kaum gesetzliche Grundlagen und Definitionen einer solchen Tat gibt, erläutert Oleksandra Bienert von der Initiative "Gerechtigkeit für Olaolu Femi". Aufklärung betreiben allenfalls zivilgesellschaftliche Organisationen wie das »No Border Project« in Kiew, das von der deutschen Stiftung»Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« unterstützt wird. Maksym Butkevych vom »No Border Project« weiß, dass sich vor allem verbale Beleidigungen gegen asiatische und afrikanische Studenten in der Ukraine häufen.

Erst im September dieses Jahres wurde die Anklage gegen Femi verlesen. Seither gab es drei Verhandlungstage. Am 13. November wollte das Gericht eigentlich ein Urteil fällen. Doch inzwischen ist das öffentliche Interesse an dem Verfahren gewachsen, insbesondere seit fragwürdige Einzelheiten der Ermittlungen bekannt wurden. Eine Richterin meldete sich plötzlich krank. Außerdem soll es einen Brief der Staatsanwaltschaft geben, die sich über den öffentlichen Druck aus der ukrainischen Gesellschaft, aber auch aus Deutschland beschwert, erzählt Oleksandra Bienert. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die LINKE) hatte sich im September in einer Anfrage an die Bundesregierung nach deren Bemühungen in Sachen Femi erkundigt. In einer knappen Antwort hieß es, man beobachte den Fall und stehe mit örtlichen Organisationen in »engem Kontakt«.

So manches jedenfalls ist zweifelhaft an dem Verfahren: Die Mutter eines der Angreifer ist Kriminalbeamtin in der gleichen Polizeistation, die Femis Fall bearbeitet. Zwar ist sie nicht direkt an den Ermittlungen beteiligt, aber ein Interessenkonflikt ist kaum auszuschließen, glaubt Maksym Butkevych. Erst im Mai 2012, ein halbes Jahr nach seiner Verhaftung, wurde Olaolu Femi überhaupt ein Dolmetscher bei den Verhören zur Verfügung gestellt. Der Nigerianer spricht weder Russisch noch Ukrainisch in erforderlichem Maß, denn an der Universität in Lugansk, wo er in diesem Jahr seinen Bachelor machen wollte, sind alle Kurse in Englisch. »Im Fall Femi mischt sich polizeiliche mit gerichtlicher Willkür«, sagt Bienert. Während der Verhandlung soll einer der Angreifer, weil er sich nicht mehr genau an die Geschehnisse erinnern konnte, seine im Gerichtssaal anwesende Mutter um Hilfe gebeten haben. Die habe ihm als Gedächtnisstütze Zettelchen mit Informationen zugesteckt, damit er nicht von der »offiziellen« Version abweiche. Erst nach fast einem Jahr tauchte plötzlich auch der Taxifahrer aus der Tatnacht auf und bestätigte die Version der Angreifer: Femi und sein Freund seien schon im Auto aggressiv gewesen.

Butkevych hält es dennoch für unwahrscheinlich, dass es am 13. Dezember tatsächlich zu einem Urteil kommt. »Es gibt noch zu viele ungeklärte Fragen«, sagt er. »Wenn das Urteil so zustande kommt, wäre das eine Schande«, meint Oleksandra Bienert.

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