Fünfzig gelbe Kreuze

Krebsfälle in Groß Schneen werden untersucht

  • Matthias Brunnert, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Ende November wurde eine Liste bekannt, auf der 50 Krebsfälle in der Nähe einer Lackiererei in Niedersachsen verzeichnet sind. Seither ist der Ort Groß Schneen in Aufruhr. Ob es überhaupt eine statistisch relevante Häufung an Erkrankungen gibt, ist noch nicht geklärt.

Groß Schneen. Die Vorgärten sind winterfest, die Spielstraßen sauber. Zu sehen ist niemand. Die Siedlung am Rand von Groß Schneen scheint verlassen an diesem Vormittag. Die mit Hecken und Zäunen voneinander getrennten Einfamilienhäuser vermitteln einen beschaulichen Eindruck, doch eigentlich sind die Menschen in dem niedersächsischen Ort in heller Aufregung. Ungewöhnlich viele Anwohner sollen hier in den vergangenen Jahren an Krebs erkrankt sein. Auf einem Luftbild, das seit einigen Wochen kursiert, sind mehr als 50 Gebäude gelb gekennzeichnet - für jede Erkrankung ein Kreuz. Ob die Zahl auch statistisch betrachtet auffällig ist, wird noch geprüft.

Ein Pensionär, der selbst in der Siedlung wohnt, hatte die Liste mit den mutmaßlichen Krebsfällen zusammengestellt - und die Erklärung für die Erkrankungen gleich mitgeliefert: Eine Lackiererei trage die Schuld. Sie habe - zumindest in der Vergangenheit - krebserregende Stoffe unsachgemäß und vorschriftswidrig verwendet. Und diese seien dann wohl mit dem Westwind Richtung Siedlung gedriftet.

Vor knapp fünf Wochen erfuhren die Bürger des 1800-Seelen-Dorfs im Kreis Göttingen aus den Medien von der Liste - und davon, dass die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe ernst nimmt. Sie ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen den Betrieb, der sich auf das Lackieren von Schildern spezialisiert hat.

»Das hat hier eingeschlagen wie eine Bombe«, sagt Andreas Friedrichs, Bürgermeister der Gemeinde Friedland, zu der Groß Schneen gehört. »Die Menschen sind verunsichert.« Der Bürgermeister ärgert sich, dass der Rentner sich nicht zuerst an die Gemeinde oder die Gesundheitsbehörden gewendet hat. Und es wurmt ihn, »dass eine alteingesessene Firma aufgrund eines nicht bewiesenen Verdachts so in die Öffentlichkeit gezerrt wurde«. Bislang sei noch nicht klar, dass die Zahl der Krebsfälle eine statistisch relevante Häufung darstelle.

An einer Klärung dieser Frage arbeiten Fachleute seit Wochen. Experten des Sozialministeriums und mehrerer Gesundheitsbehörden werten unter anderem Fragebögen aus, die an alle Haushalte in Groß Schneen verteilt wurden, aus denen Krebsfälle bekannt sind. Außerdem werden alle Todesbescheinigungen der vergangenen 20 Jahre untersucht. Die Göttinger Staatsanwaltschaft hatte die Lackiererei bereits Mitte November durchsucht und Boden- und Luftproben nehmen lassen. Die Resultate der Analysen und ein Gutachten stehen noch aus. Beides werde voraussichtlich Anfang Januar vorliegen, sagt der Sprecher der Behörde, Frank-Michael Laue.

Die Lackiererei bekräftigt, weder gegen behördliche Vorschriften verstoßen noch krebserregende Chemikalien unsachgemäß verwendet zu haben. Geschäftsleitung und Mitarbeiter seien wegen der Erkrankungen im Ort sehr betroffen, erklärt eine Sprecherin. Das Umweltministerium verweist darauf, dass bei früheren Kon-trollen der Lackiererei keine nennenswerten Mängel aufgefallen seien.

Hausbesitzern aus der Siedlung in Groß Schneen, die ihre Immobilien veräußern möchten, hilft dies nicht weiter. Sie haben es derzeit schwer, einen Käufer zu finden. Und Käufer freier Bauplätze erkundigen sich schon beim Bürgermeister, ob sie die Verträge rückgängig machen können.

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