»Wiedergutmachung ist nötig«

Nama-Häuptling David Frederick über deutsche Verbrechen in der einstigen Kolonie Deutsch-Südwestafrika

  • Lesedauer: 4 Min.
David Frederick, der traditionelle Führer der Bethanien-Nama im Süden Namibias, gehört zu denjenigen, die auf der Forderung nach Wiedergutmachung für den Völkermord der Deutschen bestehen. 1907 starb sein Urgroßvater, Häuptling Cornelius Frederick, unter den elenden Bedingungen im deutschen Konzentrationslager auf der Haifischinsel. Über die akutelle Lage der Nama sprach mit Frederick für »nd« Rolf-Henning Hintze.
David Frederick (m.)
David Frederick (m.)

nd: Chief Frederick, 2013 planen die Nama zusammen mit den Herero einen langen Protestmarsch von der Hafenstadt Lüderitz nach Windhoek, in die Hauptstadt. Was wollen Sie mit diesem Marsch erreichen?
Frederick: Ich habe diese Demonstration erstmals vor über sechs Jahren geplant. Die Idee ist zu zeigen, wie betroffen wir sind. Unsere Vorväter wurden Opfer eines Völkermords, ihre Schädel wurden nach Deutschland gebracht, der meines Urgroßvaters auch. Es scheint aber, als wäre Wiedergutmachung für Deutschland kein Thema. Mit der Demonstration von Lüderitz nach Windhoek wollen wir noch einmal unterstreichen, dass Wiedergutmachung nötig ist.

Unlängst wurden beim Bau einer Eisenbahnlinie Knochen von Häftlingen eines Konzentrationslagers auf der Haifischinsel entdeckt. Um wie viele Tote handelte es sich?
Es muss eine große Zahl gewesen sein, schätzungsweise über 1000, denn es waren sehr, sehr viele Knochen, sie füllten 24 Säcke. Wir - Herero und Nama - legten die Knochen in Särge und gaben ihnen ein vorläufiges Begräbnis.

Die eigentliche Beisetzungszeremonie steht demnach noch aus?
Die offizielle Zeremonie wird noch stattfinden. Wir planen eine große Gedenkfeier, im Rahmen derer die Gebeine in einer ordentlichen Zeremonie beigesetzt werden. Wir wollen dort auch einen Schrein errichten, nicht nur einen Grabstein. Auch auf der Haifischinsel soll es einen Schrein geben. Es ist schwer, darüber zu sprechen, was damals geschehen ist. Die Frauen wurden am schlimmsten behandelt. Sie wurden vergewaltigt und danach, nachdem die Männer geköpft worden waren, mussten sie deren Köpfe mit heißem Wasser säubern, weil die Deutschen die Schädel mitnehmen wollten.

Wie wurden die Knochen entdeckt?
Die Gräber wurden 2011 entdeckt, als man dort eine Eisenbahnlinie baute, die über den Friedhof führte. Bulldozer stießen auf die Knochen. Als sie ausgegraben wurden, legte der Wind weitere Knochen von den Sandhaufen der restlichen Erde frei. Mehrere Menschen kamen zu mir und berichteten mir darüber. Die Toten waren Häftlinge des KZ auf der Haifischinsel. Es gibt Aufzeichnungen darüber, wie viele Menschen an den einzelnen Tagen zu Tode kamen. Sie wurden in Gräbern in der Wüste bei Lüderitz begraben. Wer am nächsten Tag sterben würde, musste noch die Gräber graben. So war das von 1904 bis 1908.

Von Lüderitz nach Windhoek, das sind Hunderte von Kilometern, ein sehr langer Weg für eine Demonstration. Wie ist das gedacht?
Wir wollen der deutschen Botschaft eine Petition überreichen, die sagt: Dies haben eure Leute meinem Volk angetan, wir brauchen Wiedergutmachung. So habt ihr unsere Menschen behandelt und so sind sie gestorben. Ihr müsst einen Plan machen, wir benötigen Wiedergutmachung. Diese Petition richtet sich aber nicht nur an die deutsche Regierung, sie richtet sich auch an die namibische Regierung und soll ihr sagen: Auf diese Weise wurden Herero und Nama damals vernichtet. Nehmt das zur Kenntnis!

Die Nama-Bevölkerung ist heute offensichtlich noch stärker von Armut betroffen als die anderen Volksgruppen in Namibia.
Ja, die Nama sind die am stärksten verarmte Gruppe. Der Völkermord hat zuerst Nama betroffen, mit dem Krieg wurde ihnen das Land genommen. Sie verloren ihr Land und ihr Vieh, daraus resultiert die Armut. Deswegen wollen wir demonstrieren, wir wollen aufmerksam machen darauf, was wir verloren haben.

Die deutsche Regierung hat vor einigen Jahren eine Sonderinitiative für die »besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen« beschlossen. Welche Ergebnisse brachte diese Sonderinitiative für die acht unterschiedlichen Nama-Gruppen?
Als diese Initiative begann, wurde uns erklärt, jede Gruppe würde 2000 Ziegen bekommen. Man entschied sich für Ziegen, weil die Bevölkerung in den südlichen Gebieten Tierzucht betreibt. 2000 Ziegen für jede der Gruppen - das war eine gute Idee. Wir dachten, wenn das geschieht, wird die Armut deutlich verringert. Aber das wurde nie in die Tat umgesetzt. Es brauchte Jahre, und am Ende berief die Regierung Berater, die hin und her fuhren und von diesen Geldern bezahlt wurden. Nach so vielen Jahren haben wir erfahren, dass das Geld, das gegeben wurde, weniger geworden ist, beispielsweise: Von 100 000, die es ursprünglich waren, blieben nur 60 000 übrig.

Am Ende wurde die Verantwortung der Agra Cooperative übertragen. Jetzt haben wir leider erfahren, dass Agra diese Ziegen auf Ausschreibungen hin vergeben will. Wir können das nicht verstehen: Die verarmte Bevölkerung bekommt keine Unterstützung, weil die Ziegen jetzt verkauft werden, also ein Preis zu bezahlen ist. Das war nicht die ursprüngliche Idee. Also das ist ein totgeborenes Kind.

Geste der Versöhnung? 2011 gab die Berliner Charité 20 Totenschädel aus der Kolonialzeit an Vertreter der namibischen Regierung zurück.
Geste der Versöhnung? 2011 gab die Berliner Charité 20 Totenschädel aus der Kolonialzeit an Vertreter der namibischen Regierung zurück.
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