Zwanghaftes Handeln

Der Krisenstab

  • Sabine Nuss
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Deutsche Theater in Berlin feiert am Mittwoch die Premiere des Stücks »Das Himbeerreich«. Über zwanzig führende Banker hat der Regisseur Andres Veiel dafür interviewt, um die »Verbindungslinien zwischen den persönlichen Motiven und den gesellschaftlichen Strukturen im Finanzwesen« zu verfolgen. Ein seltenes Anliegen in einer Zeit, in der die Krise oft auf die Gier der Manager reduziert wird (»Ackermann«) und damit auf individuelles Fehlverhalten.

Zugegeben, es ist einfacher Menschen zu kritisieren als »Strukturen« oder ein abstraktes »System«. Menschen haben Gesicht und Adresse, sie tragen Verantwortung, erfüllen Aufgaben, handeln. Strukturen hingegen - wo sind sie zu greifen? Marx hat gesellschaftliche Strukturen zum Ausgangspunkt seiner Analyse gemacht, individuelle Handlungen wurden darin erklärbar. Demnach ist es die Konkurrenz, die den einzelnen Kapitalisten zwingt, bei Strafe des Untergangs die Jagd nach einem immer größeren Mehrwert zum Zweck seines Handelns zu machen.

Bezogen auf die Finanzsphäre war es diese Konkurrenz - oder freundlicher: der Wettbewerb -, die in der Vergangenheit staatlich gewollt und gewünscht war. Daher gab es Regulierungen, die den Wettbewerb fördern sollten. Diese »Deregulierung« genannten Gesetze entstanden abermals unter dem Druck von Konkurrenz: Die Staaten buhlten in Zeiten von Globalisierung um den Titel »attraktivster Kapitalstandort«.

Wie ist es aber bestellt um das Verhältnis von Konkurrenz und individuellem Handeln? Letztlich sind gesellschaftliche Strukturen nichts anderes als ein Ergebnis vieler, millionenfacher Einzelhandlungen von Millionen unterschiedlich mit Macht ausgestatteter Menschen. Daher sind Strukturen nicht so leicht auf einzelne, exponierte Protagonisten zurückzuführen. Wir alle stehen jeden Tag in Konkurrenz: Bei der Arbeitssuche, wenn wir uns optimal zu verkaufen suchen, damit wir und nicht andere die Stelle bekommen. Im Betrieb, wenn ich mich mehr anstrenge als andere, damit es bei der nächsten Entlassung nicht mich trifft. Als Unternehmer, wenn ich versuche, möglichst mehr zu verkaufen als der andere. Indem wir diese Alltagshandlungen immerzu vollziehen, reproduzieren wir stets aufs Neue die Struktur, die uns allen zu schaffen macht und der sich niemand entziehen kann. Außer man hat genug Geld zum Leben. Damit soll keine Banker-Maßlosigkeit und kein mieser Charakterzug entschuldigt werden. Aber es kommt darauf an, den Widerspruch zu enthüllen, der unter den herrschenden Bedingungen alles durchzieht.

Veiel hat das in seinem Theaterstück so dargestellt: Die Banker stehen verloren im großen Raum, sie sind Opfer. Andererseits haben sie diese Räume aber selbst gestaltet. »Es ist ihr Reich. Sie tragen Verantwortung, auch wenn sie an einem inneren Widerspruch leiden«, so der Regisseur. Eine von links inspirierte Krisenlösung müsste daher eine neue Architektur »des Systems« auf die Agenda setzen - nicht nur bezogen auf die Finanzmarktsphäre und auf staatliches Handeln. Die Konkurrenz zurückdrängen zu Gunsten von Kooperation, kann auf vielen Ebenen praktiziert werden. Selbstverwaltete Wohnprojekte, genossenschaftlich organisierte Betriebe oder landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften sind nur einige Beispiele. Im kapitalistischen Umfeld oft gescheitert, mühsam aufrechtzuerhalten, immer prekär und gern belächelt. Aber sie sind Fragmente eines Raums, in dem sich vielleicht alle anders verhalten würden. Weil sie es dann können und nicht gegeneinander um die Himbeeren kämpfen müssen.

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