»Schutzschild« gegen Arbeitsniederlegungen

Wie können Beschäftigte in sozialen Berufen streiken? Teil II der nd-Serie

  • Sonja Erkens
  • Lesedauer: 4 Min.
Streiken für bessere Arbeitsbedingungen tut oft Not. Aber wie ist es, wenn in sozialen Berufen die Verbindung zwischen Beschäftigten und ihren Klienten sehr eng ist?

»Zu den Kennzeichen einer demokratischen Gesellschaft gehört das Streikrecht«, hieß es im ersten Teil der nd-Serie an dieser Stelle – und in der Tat ist trotz sinkender Mitgliederzahlen der Gewerkschaften die politische Praxis des Streiks alles andere als passé. Aber wie damit umgehen, wenn die Beschäftigung eben nicht so ohne Weiteres für eine Zeit niedergelegt werden kann; entweder weil ein Streikverbot wegen »Unverhältnismäßigkeit« besteht, also weil der eventuell durch den Streik entstehende Schaden weitaus schwerer wiegt als der mögliche Erfolg für die Streikenden? Oder aber, weil es auch seitens der potenziell Streikenden ethische Hemmungen gibt? Besonders in Berufen des sozialen Dienstleistungssektors besteht oftmals eine auch persönliche und vertraute Beziehung zwischen den Betreuten und ihren BetreuerInnen – in diesem Sinne kann im Streikfall ein Gefühl des »Im-Stich-gelassen-Werdens« entstehen oder sogar tatsächlich von unterlassener Fürsorgepflicht gesprochen werden.

Den Mitgliedern und ArbeiterInnen des Clubs Behinderter und ihrer Freunde (Cebeef) sind diese Problematiken gut bekannt: Der Verein, der vor knapp 40 Jahren in Frankfurt am Main gegründet wurde, bietet diverse ambulante Leistungen für Kinder und Erwachsene mit Behinderung an – dazu zählen persönliche Assistenzdienste, Freizeitangebote und Schulintegration sowie ein Fahrdienst. Der wichtigste Kostenträger ist dabei die Stadt Frankfurt, daneben gehören aber auch die Kranken- und Pflegekassen zu den Vertragspartnern des Vereins.

Außer pädagogischen Fachkräften und ausgebildeten HeilerziehungspflegerInnen arbeiten auch viele »nicht-Qualifizierte« beim Verein, wie Norbert Göbelsmann berichtet: »Natürlich bestehen hohe fachliche und persönliche Anforderungen an die AssistentInnen, die Berufsbezeichnung ist jedoch nicht geschützt und es gibt auch keinen geregelten Ausbildungsweg«, erklärt der Betriebsratsvorsitzende. Die Idee, dass einen Assistenzjob eigentlich »jeder könnte« und dass dafür keinerlei spezifische Qualifikationen nötig seien, drückt den Preis für die vom Cebeef angebotenen Pflege- und Betreuungsdienste: »In unserer Branche herrschen teilweise katastrophale Lohndumping-Zustände«, berichtet Göbelsmann. Für viele Angestellte in der Branche der sozialen Dienstleistungen sei es unumgänglich, neben den untertariflichen Löhnen noch Hartz IV zu beziehen. »Diese Belastungen müssen wir als Beschäftigte gemeinsam zurückgeben« – notfalls mittels Warnstreik.

Doch die Arbeit eine Zeit lang niederzulegen, fällt vielen Pflegekräften schwer, weil sie in ihrem eigenen Empfinden nicht nur »irgendeinen Job« machen, sondern nicht selten auch eine persönliche Beziehung zu den zu Pflegenden haben. In diesem Zusammenhang benutzten die Arbeitgeber die AssistenznehmerInnen häufig als »Schutzschild« bei Streikandrohungen, so Göbelsmann weiter: »Konkret heißt das etwa, dass der Arbeitgeber die einzelne Assistentin anruft und droht, den Assistenznehmer für die Zeit des Streiks ins Krankenhaus einzuweisen.« In den meisten Fällen ist dies tatsächlich eine sehr wirksame Abschreckung, denn in Kliniken besteht einerseits eine deutlich geringere Pflegeintensität, zum Anderen kommt eine höhere Wahrscheinlichkeit von Infektionen hinzu: »Die Assistenznehmerinnen kommen oft kränker aus dem Krankenhaus heraus, als zuvor«, kommentiert Göbelsmann das zynische Vorgehen.

Wichtig sei es daher einerseits, Notdienstvereinbarung zu treffen, also eine gegebenenfalls lückenlose Betreuung zu gewährleisten. Andererseits versucht der Cebeef auch im Streikfall, seinem Anspruch auf Teilhabe und Selbstbestimmung der AssistenznehmerInnen gerecht zu werden: »Es ist uns wichtig, die AssistenznehmerInnen in den betriebspolitischen Konflikt mit einzubeziehen«, betont Norbert Göbelsmann. Laufende Informationen über die Entwicklung der Lohnverhandlungen seien daher selbstverständlich – nicht zuletzt um deutlich zu machen, dass sich der Streik gegen die Arbeitgeber und nicht etwa gegen die AssistenznehmerInnen richtet, auch wenn letztere davon unvermeidlich betroffen sind. »Bei einer solchen offenen Kommunikation ist es auch für die AssistenznehmerInnen leichter zu akzeptieren, etwa während eines Warnstreiks eventuell ein paar Stunden allein zu sein.«

Mit dieser Mischung aus Verunsicherung der Auftraggeber und Einbeziehung der AssistenznehmerInnen ist der Cebeef im vergangenen Frühjahr durchaus erfolgreich gewesen. Die drei Warnstreiktage plus zwei Betriebsratsversammlungen im April und Mai 2012 hätten keinerlei negativen Einfluss auf das Verhältnis zwischen AssistentInnen und AssistenznehmerInnen gehabt, wie Norbert Göbelsmann betont: »In der Mehrheit hat die Solidarität der Assistenznehmerinnen den Streik unbeschadet überstanden.«

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