Der steinige Weg der Erkenntnis

nd STECKBRIEF - Einer war's (185)

  • Lesedauer: 3 Min.

Er war das älteste von zehn Kindern eines Priesters und ebenfalls für die Laufbahn eines Geistlichen bestimmt. In jungen Jahren kränkelte er oft und zog sich bei einem Sturz von der Treppe eine so schwere Kopfverletzung zu, dass er zunächst weder die Schule besuchen noch überhaupt eine anspruchsvolle geistige Tätigkeit ausführen konnte.

Als er elf Jahre alt war, schickte ihn sein Vater auf ein theologisches Seminar. Hier fand er Zugang zu philosophischen und naturwissenschaftlichen Büchern, in die er sich mit Begeisterung vertiefte. Nach vier Jahren verließ er das Priesterseminar und nahm an der Universität ein Jurastudium auf, das ihm jedoch nicht sonderlich zusagte. Er wechselte deshalb von der juristischen an die mathematisch-physikalische Fakultät und belegte dort unter anderem die Fächer Chemie und Physiologie. Seine Eltern waren darüber gar nicht erfreut und zudem nicht in der Lage, ihren ältesten Sohn finanziell zu unterstützen. Kurz entschlossen gab er Nachhilfestunden, um seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Nachdem er das Studium mit der Goldmedaille der Universität abgeschlossen hatte, wandte er sich medizinischen und veterinärmedizinischen Studien zu, für die sich zunächst kaum jemand interessierte. Außerdem wurde seine Tätigkeit schlecht vergütet, so dass er seine Experimente großenteils aus eigener Tasche bezahlen musste. Weil ihm deswegen häufig das Geld für die Miete fehlte, verbrachte er die Nächte auf einer Pritsche im Labor.

Mit knapp 30 Jahren verliebte er sich in eine Pädagogikstudentin und machte dieser traditionsgemäß einen Heiratsantrag. Als sie Ja sagte, hatte er ein Problem. Zwar konnte er die Reise zur Hochzeit gerade noch bezahlen, für die Feier allerdings fehlten ihm die Mittel. Selbst als frischgebackener Ehemann schlief er aus Gründen der Sparsamkeit im Labor. Seine Frau wohnte derweil bei seinem Bruder.

Aber immerhin ging es jetzt mit seiner Karriere aufwärts. Er erwarb den Doktortitel und lehrte anschließend an der Militärärztlichen Akademie. Dort erhielt er mit 46 Jahren auch die ersehnte Professur für Physiologie sowie ein gut ausgestattetes Laboratorium, in dem er vor allem den Verdauungsprozess erforschte.

Obwohl ihm die dabei gewonnenen Erkenntnisse den Nobelpreis für Medizin einbrachten, wurde er berühmt durch eine andere wissenschaftliche Entdeckung, die heute fast so etwas wie ein geflügeltes Wort ist. Dass er damit überdies den Grundstein für eine neue Verhaltens- und Lerntheorie gelegt hatte, fand hauptsächlich im Ausland viel Beachtung. Die Universität Cambridge verlieh ihm die Ehrendoktorwürde; in Frankreich wurde er während des Ersten Weltkriegs in die Ehrenlegion aufgenommen.

In seiner Heimat führten die Wirren des Krieges zu großen politischen Umwälzungen, denen er zunächst ablehnend gegenüberstand. »Ich bin weder Sozialist noch Kommunist«, teilte er den Repräsentanten des neuen Staates unumwunden mit. Doch als jemand ihm riet, nach Schweden zu emigrieren, lehnte er ab - mit der Begründung: »Gewiss, ich begrüße nicht alles, was hier geschieht, dennoch bleibe ich.« Einen Grund, seine Entscheidung zu bereuen, hatte er nicht. Denn er konnte bald eine eigene biologische Versuchsstation übernehmen, die ihm und seinen Mitarbeitern optimale Arbeitsmöglichkeiten bot. Stück für Stück gab er daraufhin seine politische Zurückhaltung auf und wurde zum Befürworter der neuen Gesellschaftsordnung.

Dass er dennoch zahlreiche Missstände im Land ungestraft kritisieren durfte, war zweifellos seinem internationalen Ansehen geschuldet, das man in seiner Heimat zum Anlass nahm, um einen ausufernden Kult um seine Person zu betreiben. Allein der Tod bewahrte ihn davor, dies noch miterleben zu müssen. Er starb mit 86 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.

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