Kim Jong-il looking at things

Warum es so schwer ist, sich ein Bild von den beiden Koreas zu machen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Pizzeria in Pjöngjang, Menschen in Nordkoreas Hauptstadt auf dem Weg zur Arbeit, einen Bahnhof an der Grenze zum Süden: Der Fotograf Olaf Schülke zeigt Bilder aus dem Alltag beider Koreas, eine Welt jenseits der plakativen Panoramen von Säbelrasseln und Systemkampf.

Sonntag vor einer Woche. Eine Nachrichtenagentur meldet, dass die nordkoreanische Frauenfußball-Auswahl bei einem Länderspiel im südkoreanischen Seoul »mit viel Applaus« empfangen worden sei. Die Partie »gegen den Bruderstaat« habe der Norden am Ende sogar mit 2 zu 1 gewonnen.

Applaus, Bruderstaat? War da nicht etwas? Kaum lange ist es her, da sorgte die koreanische Halbinsel für kriegsschwangere Schlagzeilen. Einmal wieder. Drohgebärden aus Pjöngjang, scharfe Reaktionen aus dem Süden - und so kam auch die Meldung vom freundschaftlichen Kick der Frauen-Mannschaften nicht ohne den Hinweis aus, »das Verhältnis der beiden verfeindeten Nachbarländer« sei »noch sehr angespannt«.

War es jemals anders seit dem Ende des Koreakrieges vor 60 Jahren? Und was weiß man wirklich darüber? Wer nicht gerade Experte ist oder anderen Grund hat, sich näher mit den beiden Koreas zu beschäftigen, dem muss es schwerfallen, sich ein Bild von dem geteilten Land zu machen, das nicht von plakativen Panoramen übertüncht wird.

Da ist zum ersten die Dominanz des Nordens, der auf verstörende Weise das Interesse derart auf sich zieht, dass der Süden in der hiesigen Wahrnehmung beinahe verschwindet. Was auch immer gerade im Dauerkonflikt beider Länder geschieht, es ist Pjöngjang, das als Aggressor oder als reumütiger Gesprächspartner in der ersten Reihe steht. Fragen Sie einmal irgendjemanden, wie der Premierminister von Südkorea heißt. Während Jung Hong Won hierzulande kaum ein Begriff ist, genießt Kim Jon Un durchaus Bekanntheit - und den fragwürdigen Ruf, zur Riege der Lieblingsdikatoren der veröffentlichten Meinung zu gehören.

In den Medien wiederum konditioniert ein Raster die Wahrnehmung, das einerseits keine Differenzierungen bei der Betrachtung des »Terror-Landes Nordkorea« (Bild) mit seinem »Jungtyrannen« (Frankfurter Rundschau) und dessen eiserner Regentschaft zulässt, meist untermauert mit ebenso vagen wie schwer nachprüfbaren Berichten über Zwangslager, schlimme Hungersnöte und die ideologische Engstirnigkeit eines Familienclans. Andererseits ist die Nordkorea-Berichterstattung auch geprägt von einer Kraft der komischen, das Lächerliche betonenden Verzerrung eben jener autoritären Macht. Was wurde nicht hunderttausendfach gelacht über die Webseite »Kim Jon Il looking at things«, auf denen der verstorbene Vater des aktuellen Machthabers umringt von Funktionären mit versteinerter Miene in stets demselben Anorak auf Alltagsgegenstände blickt: Fische, Plastikschüsseln, ein gegrilltes Schwein.

Diese Bilder gehören zu einer Kultur der Selbstinszenierung des Regimes im Norden, die im Land selbst wohl ihre Wirkung nicht verfehlt, durch die Brille eines westlichen Blickes aber entweder skurril wirkt - oder sehr abschreckend. Die uns erreichenden, hierzulande omnipräsenten Bilder der Kim-Dynasten, die Massensymbolik, das Militärische - vieles erscheint wie die Farce, als welche sich hier die Geschichte des Staatssozialismus noch einmal wiederholt. Was durch die ständige Bemerkung unterstrichen wird, es handele sich bei Nordkorea um die »letzte stalinistische Diktatur«.

Und immer wieder produzieren diese Bilder vor allem eines: Verunsicherung. Christoph Moeskes hat darüber in einem 2009 erschienenen Sammelband über das »rätselhafte Land« Auskunft gegeben: Es falle die Vorstellung schwer, schreibt der Journalist und Fotograf, »dass ein Land ausschließlich aus Groteske und Schrecken bestehen soll. 22 Millionen Menschen können nicht ihr ganzes Leben damit befasst sein, dem Großen und dem Geliebten Führer zu huldigen.« Woher kommt dieses Bild? Von der Propaganda des Regimes im Norden? Oder von den hiesigen Zeitungsexperten, deren Analysefähigkeit nur bis zu dem vielfach ausgemalten Hinweis reicht, der dritte »Führer« Kim Jon Un sei »verrückt«, »irre«?

Bei der Suche nach anderen Antworten entsteht zunächst: Verstörung. Sind unsere Reaktionen auf die hierzulande transportierten Bilder aus, besser gesagt: über Nordkorea, nicht auch durchwirkt von einem kolonialen Geist, der von den regionalen, kulturellen Traditionen keine Ahnung hat - und auch nicht das Interesse aufbringt, diese Traditionen zu verstehen? Als Kim Jon Il Ende 2011 starb und Szenen lauthals weinender Nachrichtensprecherinnen, Passanten, Militärs in europäischen TV-Geräten zu sehen waren, wurden diese schnell zum Beleg für die Totalität der Herrschaft der Kim-Familie. Aber stimmt das auch?

Und warum ist gerade Nordkorea auf so widersprüchliche Weise interessant? Da ist die formale Ähnlichkeit mit dem ehemals geteilten Deutschland; wobei die koreanische Halbinsel wie ein Zerrspiegel der eigenen, als missglückt angesehenen »Wiedervereinigung« wirkt. Da ist eine politische Konstellation, die in den alten Gräben des Konflikts zwischen Osten und Westen verläuft, auch wenn sie sich als Konflikt zwischen Norden und Süden zeigt. Der aber scheint sich den üblichen Verbrüderungen und Freund-Feind-Logiken auf der hiesigen Linken zu entziehen. Solidarität mit Pjöngjang gegen das von den USA unterstützte Seoul? So etwas findet man nicht einmal in einer politischen Szene, die sonst wenig Zurückhaltung an den Tag legt, wenn es darum geht, den Feind eines Feindes zum Freund zu erklären.

Vor ein paar Wochen diskutierten in Berlin Experten über die »Gegenwart und Zukunft eines undurchsichtigen Landes«. Der in Wien lehrende Asienwissenschaftler Rüdiger Frank berichtete von Jugendlichen Inlineskatern in Pjöngjang, von zwei Millionen Handynutzern in Nordkorea und davon, dass das jüngste Säbelrasseln von Kim Jon Un womöglich ein innenpolitisches Manöver gewesen sei - um die Hardliner mit einer militärischer Eskalation von dem Einstieg in einen Reformkurs abzulenken.

Frank gestand bei der Korea-Debatte in Berlin zugleich ein, dass dies eine Vermutung sei. So wie es Vermutung bleibt, wann Kim Jon Un geboren ist, wo er zur Schule ging und welche Folgen es für das Verhältnis zu Südkorea haben wird, wenn sich im Norden eine Mittelschicht herausbildet. Noch gibt es von ihr nicht jene omnipräsenten Bilder, die so dominant unseren Blick auf die beiden Koreas prägen wie die der Raketenparaden, des gerade herrschenden Kim, der inszenierten Herrschaft.

Aber es gibt Bilder aus dem Alltag der beiden Koreas, die etwas anderes zeigen, eine Welt jenseits der plakativen Panoramen: Menschen in Nordkoreas Hauptstadt auf dem Weg zur Arbeit, die Pizzeria in Pjöngjang, einen Bahnhof an der Grenze zum Süden. Der Fotograf Olaf Schülke hat sie von Reisen aus den beiden Koreas mitgebracht, sie zeigen ein geteiltes Land 60 Jahre nach dem Ende eines erbitterten Krieges mit vier Millionen Toten, das sich trotz Teilung, Säbelrasseln und Systemkampf in manchem viel ähnlicher ist, als es durch die westliche Brille erscheint.


Olaf Schülke

Er suche in seiner fotografischen Arbeit stets nach Schönheit und Reinheit auch dort, wo Not und Armut herrschen, hat Olaf Schülke einmal gesagt. Aufgewachsen in Deutschland und den USA, zog es den Autodidakten nach Singapur, wo er heute als freischaffender Fotograf lebt und arbeitet. Nicht Bilder zu Schlagzeilen sind es, die Schülkes Werk prägen. Sondern der dokumentarische Blick auf den Alltag von Menschen. Indien, China, Singapur – und eben die beiden Koreas standen zuletzt im Fokus von Schülkes mehrfach ausgezeichnetem Werk.

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